Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige. alleiniger Aufenthaltszweck der Arbeitsuche. Unionsbürger. Europarechtskonformität

 

Leitsatz (amtlich)

Bürger aus EU-Mitgliedstaaten, deren Aufenthaltsrecht allein aus dem Zwecke der Arbeitsuche folgt, haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ist insoweit gemeinschaftskonform.

 

Orientierungssatz

1. Bei der Regelleistung des § 20 SGB 2 handelt es sich um eine Sozialhilfeleistung iS der EGRL 38/2004.

2. Art 24 Abs 2 EGRL 38/2004 ist mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit Art 39 Abs 2 EG vereinbar (vgl EuGH vom 4.6.2009 - C-22/08).

3. Art 24 Abs 2 EGRL 38/2004 ist auch mit Art 12 EG vereinbar, jedenfalls für den Fall, dass der Unionsbürger sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche herleiten kann und weder eine Aufenthaltserlaubnis (nach nationalem Recht) noch ein Daueraufenthaltsrecht besitzt.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. April 2009 wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die nach § 172 Abs. 1 und § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers spanischer Staatsangehörigkeit gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. April 2009 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den am 30. März 2009 bei Gericht eingegangenen, anwaltlich gestellten Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen in Höhe von monatlich (zuletzt nur noch) 316 Euro seit Rechtshängigkeit zu bewilligen, zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Anspruchsgrundlage für die von ihm begehrten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist § 7 Abs. 1 Satz 1 des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II). Danach erhalten Leistungen nach diesem Gesetz zwischen 15 und 65 Jahre alte erwerbsfähige Personen, die hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Ausgenommen sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Dies ist beim Antragsteller der Fall. Sein Aufenthaltsrecht ergibt sich allein aus dem - vom Antragsteller u.a. eingeräumten - Zweck der Arbeitssuche gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1, 2. Alternative des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950, 1986) in der Fassung vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970), wonach freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten wollen. Der 43jährige Antragsteller, von dessen Erwerbsfähigkeit mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auszugehen ist, ist eigenem Vortrag nach im Dezember 2008 nach Deutschland gezogen und sucht hier Arbeit, wie er dem Antragsgegner gegenüber ausdrücklich erklärt hat. Er verfügt über eine Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU), die ihn zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Sein Einwand, der Aufenthalt diene vor allem dem Zweck, in der Nähe seiner Lebensgefährtin und zukünftigen Ehefrau zu sein, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn hieraus lässt sich ein Aufenthaltsrecht nicht ableiten.

Ein Aufenthaltsrecht aus sonstigen Gründen kommt nicht in Betracht. Denn der Antragsteller hat weder vorgetragen, seine deutsche Lebensgefährtin zwischenzeitlich geheiratet zu haben, noch eine Arbeitsstelle zu besitzen oder eine Berufsausbildung zu absolvieren. Auch aus dem Gemeinschaftsrecht folgt kein über den Zweck der Arbeitssuche hinausgehendes Aufenthaltsrecht. Artikel 6 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mietgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158/77; sog. Unionsbürgerrichtlinie) sieht ein (bis auf Passförmlichkeiten) voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge