Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. anderes Aufenthaltsrecht. Arbeitnehmerfreizügigkeit. rechtsmissbräuchliche Berufung auf die Arbeitnehmereigenschaft. Arbeitsvertrag als Scheinvertrag. keine Überbrückungsleistungen nach § 23 SGB 12 bei fehlendem Ausreisewillen

 

Orientierungssatz

1. Ein Unionsbürger ist von Leistungen gemäß § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst b SGB 2 ausgeschlossen, wenn sich seine Berufung auf eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer als rechtsmissbräuchlich darstellt, weil er den Arbeitsvertrag nach Überzeugung des Senats nur zum Schein abgeschlossen hat.

2. Ein fehlender Ausreisewille steht der Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs 3 S 3 SGB 12 entgegen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Dezember 2021 abgeändert, soweit mit ihm der Antragsgegner verpflichtet wurde, den Antragstellern vorläufig für die Zeit vom 1. Januar 2022 bis 28. Februar 2022 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zur Deckung der Regelbedarfe zu gewähren. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird auch insoweit abgelehnt.

Die Beschwerde der Antragsteller wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das erstinstanzliche Verfahren - insoweit unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung - lediglich zu 12,5 % zu erstatten. Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege der einstweiligen Anordnung über einen Anspruch der Antragsteller auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1985 geborene Antragsteller zu 1. und die 1986 geborene Antragstellerin zu 2. heirateten am 2. Oktober 2020 in Rumänien. Nach ihren - insoweit wechselnden - Angaben sind sie zwischen dem 20. und 22. Oktober 2020 gemeinsam mit ihren Kindern, den 2008, 2010, 2011, 2013, 2015 und 2019 geborenen Antragstellern zu 3. bis 8., nach Deutschland eingereist. Sie alle sind rumänische Staatsangehörige. Nach ihren Angaben verfügen die Antragsteller zu 1. und 2. über keinen Schul- bzw. Berufsabschluss und können weder lesen noch schreiben. Der deutschen Sprache sind sie nicht mächtig. Die Antragsteller zu 3. bis 7. besuchen seit ihrer Ankunft in Deutschland keine Schule. Die Antragstellerin zu 2. geht keiner Beschäftigung nach und sucht eine solche auch nicht. Der Antragsteller zu 1. war in Rumänien zuvor als Tagelöhner tätig.

Mit Datum vom 31. Oktober 2020 schloss der Antragsteller zu 1. mit der Fa. „... Gebäudemanagement“, Inhaberin Frau D F, einen Arbeitsvertrag als Bauhelfer beginnend bereits ab 5. Oktober 2020. Zur Tätigkeit und zu ihrer Beendigung hat der Antragsteller im Erörterungstermin am 18. Januar 2022 angegeben, dass er Treppen gefegt habe. Nach etwa eineinhalb Monaten habe der Arbeitgeber ihn rausgeworfen.

Ab 2. November 2020 war der Antragsteller zu 1. bei der Techniker Krankenkasse (TK) kranken- und pflegeversichert. Ebenfalls seit dem 2. November 2020 waren die Antragsteller zu Lasten des Beigeladenen nach dem Allgemeinen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz - ASOG Bln) in verschiedenen Wohnheimen untergebracht. Derzeit wohnen die Antragsteller in einem Wohnheim in der K. Straße in B.

Mit Schreiben vom 18. November 2020 bestätigte die P. Bank dem Antragsteller zu 1. die Eröffnung eines Girokontos.

Bereits am 2. November 2020 beantragten die Antragsteller bei dem Antragsgegner erstmals Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 10. Februar 2021 versagte der Antragsgegner den Antragstellern die begehrten Leistungen ab 1. November 2020, da sie ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen seien. Trotz Aufforderung seien diverse Unterlagen bisher nicht eingereicht worden.

Am 4. März 2021 schloss der Antragsteller zu 1. mit der Fa. „D BAU“, Inhaber Herr R B, einen Arbeitsvertrag als Bauhelfer beginnend ab 4. März 2021. Die regelmäßige Arbeitszeit sollte acht bis zehn Wochenstunden betragen und der Arbeitnehmer einen Stundenlohn in Höhe von 12,85 EUR jeweils am Monatsende in bar erhalten. Für den Monat März 2021 bescheinigte R dem Antragsteller zu 1. einen Bruttolohn in Höhe von 514,00 EUR bzw. 389,42 EUR netto. Eine Quittung über 389,42 EUR datiert vom 5. April 2021. Für den Monat April 2021 bescheinigte R dem Antragsteller zu 1. einen Bruttolohn in Höhe von 578,25 EUR bzw. 434,34 EUR netto. Eine Quittung über 434,34 EUR „Gehalt für Monat April 2021“ wurde eingereicht. Für Mai 2021 waren es 514,00 EUR brutto bzw. 393,76 EUR netto. Eine Quittung über 393,76 EUR „Gehalt für Monat Mai 2021“ datiert vom 2. Juni 2021.

Am 10. März 2021 beantragten die Antragsteller Leistungen nach dem SGB II bei dem Jobcenter Berlin Tempelhof-Schöneberg. Mit Bescheid vom 12. ...

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