Entscheidungsstichwort (Thema)
Unionsbürger. Leistungsausschluss. Überbrückungsleistungen
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 6. Mai 2022 bewilligt und sein Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
Gründe
Die frist- und formgerecht (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) erhobene Beschwerde des polnischen Antragstellers, mit der dieser sein Begehren weiterverfolgt, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab Antragstellung beim Sozialgericht, hilfsweise Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zu gewähren, ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
An einer besonderen Eilbedürftigkeit für gerichtlichen Rechtsschutz fehlt es nach diesen Maßstäben für die Zeit vor der Entscheidung des Senats. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dienen, auch wenn sie in pauschalierter Form gewährt werden, der Sicherung des aktuellen Lebensunterhalts. Für in der Vergangenheit liegende Zeiträume kann eine Leistungsverpflichtung deshalb nur dann besonders eilbedürftig sein, wenn sich der nicht befriedigte Bedarf aktuell auswirkt (z.B. bei offenen Mietforderungen). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich.
Für die Zeit ab der Entscheidung des Senats konnte der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch im Sinne eines Leistungsanspruchs gegen den Antragsgegner nach dem SGB II (dazu unten a) oder gegen den Beigeladenen nach dem SGB XII (dazu unten b) glaubhaft machen.
a. Zwar spricht auf der Grundlage des Akteninhalts und des Vortrags des Antragstellers Überwiegendes dafür, dass er die Grundvoraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II - neben der Einhaltung der Altersgrenzen (Nr. 1 i.V.m. § 7a SGB II) und dem gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet (Nr. 4) die Erwerbsfähigkeit (Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II) und Hilfebedürftigkeit (Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II) - erfüllt. Nach seinen Angaben im Verwaltungsverfahren und seiner hiesigen Erklärung vom 16. Mai 2022 hält er sich jedoch allein zum Zwecke der Arbeitsuche in der Bundesrepublik auf und unterfällt somit als polnischer Staatsangehöriger dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b SGB II oder, soweit die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1a Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) angesichts der langen Dauer der Erwerbslosigkeit und der fehlenden Einstellungsperspektive nicht mehr vorliegen, mangels Aufenthaltsrechts dem Ausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a SGB II.
Für ein Aufenthaltsrecht aus anderem Grund im Sinne des FreizügG/EU oder nach dem allgemeinen Aufenthaltsrecht (§ 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU i.V.m. dem Aufenthaltsgesetz) ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. So sind insbesondere die Voraussetzungen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU nicht glaubhaft gemacht. Nach dem Vortrag des Antragstellers ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (§ 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU). In Betracht käme insoweit allein ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche gemäß § 2 Abs. 2 Nr.1a FreizügG/EU. Auch wenn der Antragsteller ausweislich des beigebrachten Rentenversicherungsverlaufs in den Jahren 2015 und 2016 kurzzeitig erwerbstätig war, so vermag der Senat nicht zu erkennen, dass er in den Folgejahren durchgehend Arbeit gesucht hat und dass trotz Obdachlosigkeit sowie zeitweisem Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt die begründete Aussicht bestand, eingestellt zu werden. Belastbare Anhaltspunkte hierfür finden sich weder im Vortrag des Antragstellers noch in den vorliegenden Akten.
Die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a und b SGB II sind europarechtskonform (vgl. EuGH, Urteil vom 11. N...