Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Sozialhilfe. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht bzw bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Verfassungsmäßigkeit. Folgenabwägung. vorläufige Verpflichtung zur Leistungsgewährung auf Basis des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
Orientierungssatz
1. Eine Folgenabwägung kommt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur in Betracht, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage unmöglich ist (vgl BVerfG vom 14.9.2016 - 1 BvR 1335/13 = NVwZ 2017, 149).
2. Die Fachgerichte sind auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht befugt, sich durch Kreierung eines vom Gesetzgeber nicht geschaffenen Anspruchs aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben (vgl BVerfG vom 7.11.2005 - 1 BvR 1178/05 = NJW 2006, 1339 = juris RdNr 11). Sie sind vielmehr, wenn sie von der Verfassungswidrigkeit einer Norm überzeugt sind, auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Vorlage an das BVerfG verpflichtet (vgl BVerfG vom 7.11.2005 - 1 BvR 1178/05 aaO). Den Gerichten ist es insbesondere nicht gestattet, den zuständigen Träger allein auf der Grundlage von Verfassungsrecht, hier also des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, zur Leistungsgewährung zu verpflichten (vgl BVerfG vom 30.10.2010 - 1 BvR 2037/10).
3. Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 12 ist verfassungsgemäß und verletzt insbesondere nicht das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. November 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) ab dem 29. Oktober 2018.
Der im Jahr 1983 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger. Ausweislich einer Verdienstbescheinigung hat er sich bereits vom 17. August bis 17. Oktober 2015, vom 26. Oktober bis 23. Dezember 2015 und vom 19. Juni bis 23. Dezember 2016 in der Bundesrepublik Deutschland zur Arbeit aufgehalten.
Ab dem 1. Februar 2018 (Arbeitsvertrag vom 31. Januar 2018) bzw. 12. Februar 2018 (Arbeitsbescheinigung vom 29. Juni 2018 sowie Angabe des Antragstellers) nahm er erneut eine Arbeitstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland auf. Dieses Arbeitsverhältnis endete zum 28. April 2018. Während die Arbeitslosigkeit nach der Bescheinigung der Agentur für Arbeit Marzahn-Hellersdorf vom 25. Juli 2018 unfreiwillig eintrat, teilte der Arbeitgeber unter dem 3. August 2018 mit, dass der Antragsteller das Arbeitsverhältnis zum 28. April 2018 beendet habe und legte ein entsprechendes Kündigungsschreiben des Antragstellers vor. Unter dem 3. August 2018 wurde durch die Agentur für Arbeit Marzahn-Hellersdorf “Unfreiwillige Arbeitslosigkeit„ nicht bestätigt.
Das Jobcenter Marzahn-Hellersdorf lehnte einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 9. August 2018 ab, gegen den der Antragsteller am 16. August 2018 Widerspruch erhob.
An den Antragsgegner wandte sich der Antragsteller am 24. Oktober 2018 und beantragte dort “Überbrückungshilfe § 23 SGB XII„. Der Antragsteller verstand diesen Antrag als Antrag - auch - auf Leistungen zum Lebensunterhalt und trat in die Prüfung ein.
Am 16. Oktober 2018 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingereicht, gerichtet auf die vorläufige Verpflichtung des Jobcenters Marzahn-Hellersdorf zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II bis mindestens 28. Oktober 2018 sowie auf Verpflichtung des “beizuladenden Land Berlins„ auf Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII.
Das Sozialgericht hat letzteren Antrag am 26. Oktober 2018 als selbständiges Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet gegen den Antragsgegner eintragen lassen.
Der Antragsteller hat eine eidesstattliche Versicherung eingereicht, nach der er bei seinem Arbeitsgeber einen leeren Zettel unterschrieben habe, in den ohne seine Kenntnis die Kündigung eingetragen worden sei. Auf den Hinweis des Sozialgerichts, dass Überbrückungsleistungen nur in Betracht kommen dürften, wenn ein Ausreisewille bestehe, hat der Antragsteller mitgeteilt, dass es auf einen Ausreisewillen nicht ankomme.
Mit Beschluss vom 26. November 2018 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien nicht gegeben. Ein Anspruch gegen den Antragsgegner auf Leistungen nach dem SGB XII scheitere insbesondere an dem in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ...