Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. kein verfestigter Aufenthalt. Antragstellung einen Monat nach Einreise. Verweis auf Rückkehr ins Heimatland. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Von einem verfestigten Aufenthalt in Deutschland kann auch nach Ablauf von 6 Monaten nicht ausgegangen werden, wenn der Antragsteller zu den Weihnachtsfeiertagen zu seinen Eltern eingereist ist und bereits einen Monat später Leistungen nach dem SGB II beantragt hat.
2. Ein Eingriff in die Menschenwürde in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip durch die Versagung von Leistungen in Deutschland auf Dauer kann vor dem Hintergrund der sicheren Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins in der gesamten EU nicht angenommen werden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. Mai 2016 aufgehoben. Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt M K, Fstraße, B, bewilligt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde (§ 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) des Antragsgegners ist begründet, da die Antragstellerin keinen Anspruch auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II) hat, da sie als EU-Ausländerin (Bulgarin), die ihr Freizügigkeitsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ableiten kann, von Leistungen ausgeschlossen ist (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II).
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichtes unterfällt die Antragstellerin dem europarechtskonformen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (vgl. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes - EuGH - in der Rechtssache Dano vom 11. November 2014 C-333/13 und Alimanovic vom 15. September 2015 C-67/14). Denn sie kann ihr Freizügigkeitsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ableiten. Zu Unrecht hat das Sozialgericht angenommen, dass daneben ein Freizügigkeitsrecht als Familienangehörige nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU besteht, was in der Tat die Nichtanwendung des Leistungsausschlusses zur Folge gehabt hätte.
Da die 1993 geborene Antragstellerin das 21. Lebensjahr bereits vollendet hat, kann sich ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht als Familienangehörige nur dann ergeben, wenn sie als solche von ihren Verwandten - hier den Eltern - Unterhalt erhält (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU). Entgegen der Annahme des Sozialgerichts erhält die Antragstellerin aber keinen Unterhalt von ihren Eltern, da sie diese Unterhaltsleistungen im hier zu entscheidenden Verfahren gerade geltend macht. Soweit das Sozialgericht angenommen hat, die Zurverfügungstellung einer Wohngelegenheit in der Wohnung der Eltern der Antragstellerin stelle bereits eine Unterhaltsgewährung dar, da der Antragsgegner im Hinblick auf den Aufenthalt der Antragstellerin in dieser Wohnung nur 2/3 der Unterkunftskosten den Eltern bewilligt hat, folgt der Senat dieser Rechtsauffassung ausdrücklich nicht. Denn es wird allein durch das vorliegende Verfahren deutlich, dass es sich bei der Unterkunftsgewährung gerade nicht um eine Unterhaltsleistung der Eltern handeln soll, da die Kosten der Unterkunft im hiesigen Verfahren gerade geltend gemacht werden. Es schließt sich aus, einerseits geltend zu machen, man erhalte Unterhaltsleistungen von dritter Seite und diese andererseits im vorliegenden Verfahren gegen den Antragsgegner einzufordern, weil man bedürftig sei. Im Übrigen dürfte das Sozialgericht verkannt haben, dass bei Anerkennung der tatsächlichen Unterhaltsgewährung durch die Eltern auch die Bedürftigkeit der Antragstellerin im selben Umfang entfiele, so dass schon deshalb Leistungen nicht bewilligt werden könnten.
Soweit das Sozialgericht gemeint haben sollte, die tatsächliche Gewährung von Unterkunft bis zum Eintreten des Antragsgegners für gerade diesen Bedarf erfülle die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals Unterhaltsgewährung im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU, hält der Senat dies für nicht vertretbar. Das Regelungskonzept des § 3 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 4 des Freizügigkeitsgesetzes/EU zeigt überdeutlich, dass ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht nur dann bestehen soll, wenn der Unterhalt der betreffenden Person durch die Verwandten gesichert ist. Vorliegend ist nicht einmal von einer anteiligen Sicherung auszugehen, da die Antragstellerin sämtliche Kosten des Regelbedarfs und der Kosten der Unterkunft im vorliegenden Verfahren geltend macht.
Die Antragstellerin hat auch nicht bereits deshalb Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, weil sie nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zur Bedarfsgemeinschaft ihrer Eltern gehört, da sie das 25. Lebensjahr noch nicht ...