Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Sozialhilfe. Leistungsausschluss für dem Grunde nach Leistungsberechtigte nach dem SGB 2. Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB 12. Anwendbarkeit auch auf Ermessenleistungen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. keine Aufenthaltsverfestigung durch Zeitablauf bei nicht rechtmäßigem Aufenthalt. Zumutbarkeit einer Rückkehr ins Heimatland. Freizügigkeitsrecht. Arbeitnehmer. Geringfügige Beschäftigung. Rechtmäßiger Daueraufenthalt. Ermessensreduzierung auf Null. Existenzminimum
Leitsatz (amtlich)
Ausschluss von Leistungen der Sozialhilfe für einen Unionsbürger bei dessen Erwerbsfähigkeit.
Orientierungssatz
1. Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 SGB 12 bezieht sich auch auf die Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12.
2. Entgegen der Argumentation des BSG (entgegen BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 43) ist gerade nicht von einer Verfestigung des Aufenthaltsrechts auszugehen, da sich das Aufenthaltsrecht bei nicht rechtmäßigem Aufenthalt nicht einfach durch Zeitablauf verfestigt.
3. Unionsbürgern ist es zuzumuten, in ihr Heimatland zurückzukehren und sich damit selbst zu helfen (vgl BVerwG vom 8.7.1988 - 5 B 136/87 ua = Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr 9).
Normenkette
SGB XII § 23 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 1; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 1a, § 4a; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Tenor
Auf die Beschwerden der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stralsund vom 2. März 2016 mit der Maßgabe abgeändert, dass der Antragstellerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., B-Stadt für das erstinstanzliche Verfahren bewilligt wird. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung vom Rechtsanwalt B., B- Stadt auch für das Beschwerdeverfahren bewilligt.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII).
Die 1953 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige. Sie bewohnt eine 36,95 m2 große Mietwohnung in A., für die eine Gesamtmiete in Höhe von 380 € (einschließlich BK und HK Vorauszahlung in Höhe von 80 €) zu zahlen ist. Sie lebt seit 1999 in Deutschland und pflegte ihren Onkel T. K. bis zu dessen Tod im Oktober 2012. Zuletzt bezog sie Leistungen vom Jobcenter Vorpommern-Greifswald Nord - dem Beigeladenen - vom 1. September bis 30. November 2015 in Höhe von monatlich 746,60 € (vergleiche Bescheid vom 7. September 2015). Ihr Fortzahlungsantrag vom 27. November 2015 wurde mit Bescheid vom 30. November 2015 mit der Begründung abgelehnt, es bestehe ein Leistungsausschluss aufgrund des Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche, vergleiche § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II.
Am 11. Dezember 2015 beantragte die Antragstellerin die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII unter Verweis auf aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Danach sei sie zwar von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, nicht aber von Leistungen nach dem SGB XII. Mit Bescheid vom 21. Januar 2016 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII in Form von laufenden Leistungen ab. Ein Sozialleistungsanspruch sei für sie als Angehörige der Europäischen Union ausgeschlossen, wie durch Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 15. September 2015 entschieden worden sei. Hiergegen erhob die Antragstellerin am 15. Februar 2016 Widerspruch. Sie verwies auf ihren bereits ca. 15 Jahre dauernden Aufenthalt in Deutschland, weswegen ihr ein Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zustehe.
Am 15. Februar 2016 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Stralsund den Erlass einer einstweiligen Anordnung unter gleichzeitiger Beantragung von Prozesskostenhilfe begehrt. Unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liege bei ihr ein verfestigtes Aufenthaltsrecht vor, was sie zur Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB XII berechtige. Sie halte sich bereits seit dem Jahre 2001 in Deutschland auf, verfüge über eine vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten im Februar 2007 erteilte Aufenthaltserlaubnis. Sie könne ihren Lebensunterhalt weder aus eigenem Einkommen noch Vermögen bestreiten und sei auch derzeit nicht krankenversichert. Ob sie tatsächlich eine Daueraufenthaltsrechtsgenehmigung von der Ausländerbehörde erhalte, werde erst nach einiger Zeit entschieden sein. In der Zwischenzeit könne sie nicht ohne Leistungen sein.
Die Antragstellerin hat schriftsätzlich beantragt:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, ihr Leistungen nach dem SGB XII auf Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner hat ...