Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung. Härtefall
Orientierungssatz
1. Zur Bewilligung von Leistungen nach dem SGB 2 für einen zurückliegenden Zeitraum durch einstweiligen Rechtsschutz fehlt es regelmäßig am erforderlichen Anordnungsgrund. Das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden grundsätzlich zumutbar.
2. Ausnahmsweise liegt die Annahme eines Anordnungsgrundes für einen zurückliegenden Zeitraum dann vor, wenn bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine stattgebende Entscheidung nicht rückgängig machen lassen.
3. Drohende Obdachlosigkeit stellt solange keinen Anordnungsgrund dar, als ein Räumungstitel nochj nicht vorliegt.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 2006, mit dem das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers vom 1. Dezember 2006, den Antragsgegner im Wege einer einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihm “Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts seit August 2006 fortlaufend zu gewähren„, abgelehnt hat, ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 86 b Absatz 2 SGG nicht vorliegen.
1.) Schon für die Gewährung von Leistungen “seit August 2006„ bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren fehlt es an einem Anordnungsgrund, denn insoweit besteht keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde. Der Antragsteller hat - auch nach Erhalt der Entscheidung des Sozialgerichts, die unter anderem auf das Fehlen des Anordnungsgrundes gestützt war - keine Umstände vorgetragen, die einen Anordnungsgrund begründen können.
In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO], 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Derartige Umstände hat der Antragsteller jedoch nicht vorgetragen, sie sind auch nicht sonst ersichtlich. Dies bedeutet gleichzeitig, dass insoweit effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangt und dem Antragsteller ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.
2.) Auch für die Ze...