Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer. Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Pflegetätigkeit als Freundschaftsdienst

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Beschäftigungsverhältnis, das ein Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer begründen soll, muss den deutschen Rechtsvorschriften entsprechen. Dies gilt gerade auch für den Mindestlohn.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. März 2017 aufgehoben, soweit der Antragsgegner verpflichtet wurde, der Antragstellerin für die Zeit vom 11. Januar 2017 bis zum 30. Juni 2017 Arbeitslosengeld II i. H. v. monatlich 559,00 € zu gewähren. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Der Antragstellerin wird auf für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt M B, R Straße, B gewährt.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde (§ 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG) des Antragsgegners vom 16. März 2017 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. März 2017 ist zulässig und begründet, denn die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf die vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II), da sie als polnische Staatsbürgerin, die sich allein auf ein Freizügigkeitsrecht zur Arbeitssuche berufen kann, nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen ist.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann die Antragstellerin sich auch nicht auf ein Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmerin im Hinblick auf die Pflegetätigkeit für den Sohn von Frau A K berufen, die ebenfalls Leistungen nach dem SGB II und daneben Pflegeleistungen der Pflegekasse für ihren Sohn M V für den Pflegegrad II i. H. v. 316,00 € nebst eines Betreuungs- und Entlastungsbetrages i. H. v. 125,00 € pro Monat bezieht.

Der Senat sieht es weder als nachgewiesen noch glaubhaft gemacht an, dass die Antragstellerin bei Frau K überhaupt einem regulären Arbeitsverhältnis in Abgrenzung zu einem Freundschaftsdienst mit einer gewissen Aufwandsentschädigung nachgeht.

Zwar findet sich in den Verwaltungsakten ein Arbeitsvertrag für geringfügige und Teilzeit-Beschäftigung vom 1. Januar 2016, nach dem die Antragstellerin einen Betrag i. H. v. 250,00 € für eine unbekannte Anzahl von Pflegestunden erhalten soll (die Angabe von 2 Stunden monatlich dürfte irrtümlich erfolgt sein). Die weiter vorgelegten Lohnabrechnungen “Minijobs„ weisen sodann einen Betrag i. H. v. 250,00 € aus und verzichten vollkommen auf die Benennung einer konkreten Stundenzahl. Insoweit wird auf Bl. 14 bis 17 der Verwaltungsakte verwiesen.

Einem nur teilweise bei den Akten befindlichen Pflegegutachten (nur Seite 3) ist zu entnehmen, dass die Mutter Frau K und die Antragstellerin jeweils einen Pflegebedarf für den Sohn von unter 14 Stunden die Woche angegeben haben. Nach dem Arztbericht des Klinikums N vom 17. Juni 2015 leidet der am 30. Mai 2001 geborene M V K unter einer generalisierten idiopathischen Epilepsie mit generalisiert tonisch-klonischen Anfällen, chronisch rezidivierenden Kopfschmerzen, einer benignen intrakraniellen Hypertension, Erbrechen, auch Nüchternerbrechen, einem atopischen Ekzem, Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr, einer Entwicklungsstörung der schulischen Fertigkeiten und belastenden Lebensumstände, die Familie und Haushaltsführung negativ beeinflussen.

Angesichts dieser Diagnosen und dem Umstand, dass den Unterlagen zu entnehmen ist, dass der Junge grundsätzlich zur Schule geht, ist schon nicht ersichtlich, dass überhaupt ein Pflegebedarf besteht, der über das hinausgeht, was die Mutter nicht selbst befriedigen könnte. Zwar spricht rechtlich nichts dagegen, auch in einer solchen Situation eine Pflegeperson zu beschäftigen, allerdings regelmäßig wohl nur dann, wenn der Arbeitgeber in diesem Sinne auch über die entsprechenden Mittel verfügt, die Arbeitnehmerin auch zu bezahlen. Hier bedarf es keiner weiteren Erläuterung, dass Frau K, die selbst SGB II-Leistungen bezieht, von diesen Leistungen keine Pflegekraft bezahlen kann. Insoweit spricht schon dieser Umstand gegen ein Arbeitsverhältnis. Hier erscheint zwar grundsätzlich möglich, dass Arbeitsleistungen aus dem für den Sohn gewährten Pflegegeld bezahlt werden könnten, allerdings müsste ein solches Arbeitsverhältnis den geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland entsprechen, um eine im Rahmen des Freizügigkeitsrechts schützenswerte Beziehung zum deutschen Arbeitsmarkt zu begründen. Angesichts eines Mindestlohnes im Jahre 2017 i. H. v. 8,84 € führte ein bescheinigtes Entgelt i. H. v. 250,00 € im Monat zu Arbeitsleistungen von etwa 28 Stunden im Monat, also etwa 7 Stunden die Woche. Ein Entgelt von 282,88 Euro führt zu 32 Stunden. Diese Angaben zugrunde gelegt, kann von einem Arbeitnehmerstatus im Sinne des § 2 Abs. 2 ...

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