Entscheidungsstichwort (Thema)

EU-Ausländer. Arbeitnehmer. Pflegetätigkeit. Barauszahlung. Ausführungsbescheid. Bekanntgabewille

 

Leitsatz (amtlich)

1.) Der Senat lässt Quittungen und Belege für Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 128 SGG in der Regel nicht mehr genügen. Die unbare Kontozahlung kann heute als der absolute Regelfall angesehen werden, zumal wenn der Antragsteller über ein Konto verfügt. Allenfalls unter darzulegenden besonderen Umständen ist eine bare Lohnauszahlung als Beweis für ein Arbeitsverhältnis glaubhaft.

2.) Die Weitergabe von Geld- oder Sachleistungen an Dritte, die vom SGB II- oder vom SGB XII-Träger zur Erfüllung eines Anspruches auf Grundsicherung an eine anspruchsberechtigte Person gezahlt werden, vermag grundsätzlich keine Arbeitnehmereigenschaft dieser dritten Person zu begründen, dies auch dann nicht, wenn sich der Leistungsempfänger und die dritte Person darüber verständigen, dass diese Leistungsweitergabe für "haushaltsnahe Dienstleistungen" geschehe und hierüber ein "Arbeitsvertrag" geschlossen werde. Eine "Erwerbstätigkeit" i.S.d. § 2 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU ist hierin nicht zu sehen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antrags- und Beschwerdegegners werden der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. April 2017 abgeändert, soweit mit ihm der Antragsgegner zur Gewährung von Leistungen und zur Tragung von Kosten für das erstinstanzliche Verfahren verpflichtet worden war, und der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz insgesamt abgelehnt.

Die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin wird für das Beschwerde- und das Anschlussbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwälte a, K-M-Straße, B, bewilligt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Die 1970 geborene Antragstellerin und Beschwerdegegnerin besitzt die rumänische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben zog sie im Sommer 2015 nach B, ausweislich einer beigebrachten Meldebescheinigung lebt sie seit dem 18. August 2015 unter der aus dem Rubrum ersichtlichen Anschrift bei dem 1931 geborenen Herrn M A, der Grundsicherungsleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Sozialhilfe (SGB XII), bezieht und dem durch Bescheid des Bezirksamtes N von B vom 30. September 2016 für die Zeit vom 11. April 2016 bis 30. September 2016 unter Zugrundelegung eines täglichen Pflege- und Betreuungsbedarfes von 26 bis 50 Minuten ambulante Hilfe zur Pflege nach § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Höhe von 122 Euro monatlich zuerkannt worden war. Gegen diese Entscheidung ist nach Angaben der Antragstellerin Widerspruch erhoben worden.

Im November 2016 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner erstmals Leistungen nach dem SGB II. Sie gab an, dass die Einnahmen durch die Pflege des Herrn A nicht ausreichten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Sie habe in der Vergangenheit keine Miete gezahlt und das Pflegegeld erhalten. Ihr Mietanteil belaufe sich auf 255,01 Euro. Gegenüber der Minijob-Zentrale wurde mit Datum vom 27. Januar 2017 ein Arbeitsentgelt in Höhe von 200 Euro monatlich gemeldet, dieses sei seit April 2016 bezogen worden. Bei den Akten befinden sich ferner Quittungen über Zahlungen von 200 Euro für “haushaltsnahe Dienstleistungen„ für die Monate Oktober bis November 2016.

Mit Bescheid vom 15. Februar 2017 versagte der Antragsgegner zunächst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit von November 2016 bis April 2017 ganz, da fehlende Unterlagen nicht eingereicht worden seien. Mit Bescheid vom 6. März 2017 lehnte der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen sodann unter Bezugnahme auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab, da sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin lediglich aus dem Zweck der Arbeitssuche ergäbe und die mitgeteilte Tätigkeit wegen des geringen Einkommens, ohne die Regelung von Arbeitsstunden sowie ohne einen Arbeitsvertrag, der das Bestehen von Urlaubsansprüchen und Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall regelte, keinen Arbeitnehmerstatus vermittelte. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde vorgetragen, dass Herr A der Antragstellerin seit Februar 2017 keinen Lohn mehr habe auszahlen können, da er trotz weiterhin bestehender Pflegebedürftigkeit kein Pflegegeld mehr beziehe. Außerdem sei die Antragstellerin zur Zahlung von Miete für die Hälfte der Wohnung aufgefordert worden. Das Bezirksamt N von Berlin hatte gegenüber Herrn A nach Bekanntwerden der Aufnahme der Antragstellerin in die Wohnung mit Bescheid vom 6. Februar 2017 die Hälfte der Mietkosten in Höhe von 255,01 Euro monatlich für die Zeit von September 2015 bis August 2016 zurückgefordert.

Mit Antrag vom 30. März 2017 (Fax-Protokoll der Antragstellerin von diesem Tag, Eingangsstempel des Gerichts vom 31...

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