Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz gegen Entziehung einer Erwerbsminderungsrente. wesentliche Änderung. Lebertransplantation. Rentenentziehung mit Wirkung für die Zukunft. aufschiebende Wirkung der Klage
Orientierungssatz
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Rentenentziehungsbescheid ist anzuordnen, wenn nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides bestehen. Der Rentenversicherungsträger ist in vollem Umfang beweispflichtig, wenn er in die durch die Bestandskraft geschützte Rechtsposition des Versicherten eingreift.
2. Bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ist bei einem Lebertransplantierten für die Annahme fehlender Erwerbsminderung ausreichend, dass er nach internistischer und psychiatrischer Beurteilung leichte körperliche Arbeiten im Umfang von wenigstens 6 Stunden arbeitstäglich verrichten kann.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. August 2007 aufgehoben. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig und begründet (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Mit der Beschwerde begehrt die Antragsgegnerin die Aufhebung der mit Beschluss vom 30. August 2007 angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 03. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Juli 2007. Mit den im Hauptsacheverfahren (S 26 R 5345/07) im Wege der Anfechtungsklage angefochtenen Bescheiden entzog die Antragsgegnerin die der Antragstellerin seit August 1996 zunächst auf Zeit und ab Januar 1999 auf Dauer wegen einer primären biliären Leberzirrhose gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit Wirkung zum 30. April 2007 wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Grundlage der Entscheidung waren Gutachten der Internistin Dr. C vom 15. Januar 2007 und des Neurologen und Psychiaters B vom 24. März 2007, in denen die Gutachter zu dem abschließenden Ergebnis kamen, die Antragstellerin sei nach einer Lebertransplantation im November 2005 wieder vollschichtig einsatzfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Nach § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG hat eine Anfechtungsklage bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder - wie hier - entziehen, keine aufschiebende Wirkung. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann aber das Gericht der Hauptsache auf Antrag in diesen Fällen die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass von dem gesetzlich angeordneten Regelfall der sofortigen Vollziehung im Fall des § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG abzuweichen nur Anlass besteht, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (so Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8. A. 2005, § 86b Rdnr. 12a). Das ist dann der Fall, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des die laufende Leistung herabsetzenden oder entziehenden Verwaltungsaktes bestehen, wenn also nach summarischer Prüfung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts spricht. Sind die Erfolgsaussichten der Klage nicht sicher abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der Durchsetzung seiner Ansprüche.
Danach ist die aufschiebende Wirkung der Klage nicht anzuordnen, denn nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen bestehen keine erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 03. April 2007.
Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, soweit in den Verhältnissen, die bei dem Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt also voraus, dass in den Verhältnissen, die im Oktober 1998 für die Entscheidung der Antragsgegnerin, die der Antragstellerin bewilligte Zeitrente nunmehr auf Dauer zu gewähren, maßgeblich waren, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Hierfür ist die Antragsgegnerin, die mit ihrem Bescheid vom 03. Mai 2007 in die durch die Bestandskraft geschützte Rechtsposition der Antragstellerin eingreift, beweispflichtig. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. Keller a. a. O., § 86b Rdnr. 18), da es sich in der Hauptsache um eine Anfechtungsklage handelt.
Eine derartige Änderung der Verhältnisse ist nach summarischer Prüfung dadurch belegt, dass bei der Klägerin im November 2005 eine Lebertransplantation durchgeführt ...