Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens bei Fehlen des Widerspruchverfahrens
Orientierungssatz
1. Grundsätzlich ist eine Klage bei Fehlen eines durchzuführenden Vorverfahrens als unzulässig abzuweisen.
2. Das Gericht muss aber dem Kläger die Möglichkeit geben, das Vorverfahren nachzuholen.
3. Das Gericht hat bei Fehlen eines Vorverfahrens überhaupt keine andere rechtlich zulässige Möglichkeit, als in einem solchen Fall des faktischen Stillstandes des gerichtlichen Verfahrens mit Beschluss die Aussetzung des Verfahrens nach § 202 S. 1 SGG i. V. m. §§ 246 ZPO, 114 SGG anzuordnen. Dies geschieht ohne Vorliegen des Antrags eines Verfahrensbeteiligten und ohne Ermessensentscheidung des Gerichts.
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 1. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 24. Dezember 2015 bis 23. März 2016.
Mit Bescheid vom 5. Juli 2016 lehnte der Beklagte den Antrag vom 12. Juni 2016 auf Überprüfung der Bescheide vom 5. Februar 2016 und 31. Mai 2016 ab: Diese Bescheide seien nicht zu beanstanden. Es sei bei dessen Erlass das Recht richtig angewandt sowie von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden.
Dagegen hat die Klägerin am 26. Juli 2016 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben und begehrt, den Beklagten zu verurteilen, Leistungen zum Lebensunterhalt und Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 24. Dezember 2015 bis 23. März 2016 zu gewähren.
Der Beklagte hat entgegen entsprechenden Hinweisen des Sozialgerichts die Klage für unzulässig gehalten, da kein Vorverfahren durchgeführt worden sei und die Klägerin gegen den Bescheid vom 5. Juli 2016 auch keinen Widerspruch eingelegt habe. Die Klage könne auch nicht als Widerspruch gedeutet werden.
Mit Beschluss vom 1. Dezember 2017 hat das Sozialgericht das Verfahren ausgesetzt: In der Klageerhebung liege gleichzeitig die Einlegung des Widerspruchs. Der Beklagte habe den Widerspruch zu bescheiden. Während des nachzuholenden Vorverfahrens sei das Verfahren analog § 114 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszusetzen (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, § 78 Rdnrn. 3a und 3b).
Gegen den ihm am 7. Dezember 2017 zugestellten Beschluss richtet sich die am 8. Dezember 2017 eingelegte Beschwerde des Beklagten.
Er meint, die Aussetzung des Verfahrens sei zu Unrecht erfolgt. Sie setze zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens die Antragstellung eines Beteiligten sowie eine Ermessensentscheidung des Gerichtes voraus. Es fehle an beidem.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die bei der Entscheidung vorgelegen hat, verwiesen. Die Verwaltungsakten des Beklagten (Behelfsakten Band I und II, ) sind beigezogen.
II.
Die nach § 172 SGG zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat das Verfahren zu Recht ausgesetzt. Des Antrages eines Beteiligten hat es nicht bedurft. Die Entscheidung ist zutreffend nicht als Ermessensentscheidung ergangen.
Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGG sind vor Erhebung der Anfechtungsklage und der Verpflichtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen.
Die Durchführung des Vorverfahrens mit abschließender Entscheidung ist eine von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 12. Auflage, § 78 Rdnr. 2). Fehlt es an einer Sachurteilsvoraussetzung ist das Gericht gehindert, eine inhaltliche Entscheidung zum Begehren zu treffen, also ein Sachurteil zu erlassen. Vielmehr ist eine solche Klage grundsätzlich als unzulässig zu verwerfen (Meyer-Ladewig a.a.O., vor § 51 Rdnr. 13).
Die Abweisung einer Klage als unzulässig kommt allerdings beim Fehlen eines Vorverfahrens nicht in Betracht. Vielmehr muss das Gericht dem Kläger die Möglichkeit geben, das Vorverfahren nachzuholen (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 78 Rdnr. 3 und 3 a). Das Gericht darf daher in einem solchen Verfahrensstand nicht nur kein Sachurteil, sondern überhaupt kein Urteil erlassen. Dies bedeutet den faktischen Stillstand des gerichtlichen Verfahrens. Einen solchen faktischen Stillstand kennt allerdings das Sozialgerichtsgesetz ebenso wie die anderen gerichtlichen Verfahrensordnungen nicht. Kommt das gerichtliche Verfahren aufgrund eines tatsächlichen Umstandes zum Stillstand, so ordnet das Gesetz unmittelbar die Unterbrechung des Verfahrens (§ 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 239 Abs. 1, § 240 bis § 245 ZPO), also insbesondere in denjenigen Fällen an, in denen das Gericht entweder objektiv gehindert ist, zu einem Urteil zu gelangen, oder ein erheblicher Grund, der dem Fortgang des gerichtlichen Verfahrens entgegensteht, vorliegt. Wenn eine weitere Fortführung des Verfahrens nicht als zweckmäßig erscheint, sieht das Gesetz die Aussetzung des Verfahrens (§ 202 Satz...