Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines Anspruchs auf Versorgung des Versicherten mit Cannabis durch dessen Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Nach § 31 Abs. 6 S. 2 SGB 5 bedarf die Versorgung des Versicherten mit Cannabis bei der ersten vertragsärztlichen Verordnung der Genehmigung durch die Krankenkasse.

2. Eine die Leistungspflicht der Krankenkasse auslösende vertragsärztliche Verordnung kann noch bis zum rechtskräftigen Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens nachgereicht werden.

3. Aus der erforderlichen Verordnung des Vertragsarztes muss unmissverständlich hervorgehen, dass dieser die ärztliche Verantwortung für die Cannabis-Vergütung übernimmt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 03.01.2022; Aktenzeichen B 1 KR 16/21 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juni 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Der Kläger begehrt im Berufungsverfahren die Kostenübernahme für Cannabis in Gestalt von sativa oder indigo 5 g pro Woche.

Der 1968 geborene Kläger bezieht existenzsichernde Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vom Bezirksamt Charlottenburg von Berlin. Die Beklagte übernimmt im Rahmen des Auftragsverhältnisses die Krankenbehandlung des Klägers (§ 264 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V).

Der Kläger beantragte unter Übersendung eines ärztlichen Attestes des Facharztes für Innere Medizin F vom 15. Mai 2018 bei der Beklagten die Kostenübernahme für die Versorgung mit Cannabis. Gemäß dem ärztlichen Attest bestehe ein Diabetes mellitus und ein somatoformes Schmerzsyndrom bei bestehender Angsterkrankung. Da viele Analgetika bisher nicht den gewünschten Erfolg erbracht hätten und teilweise auch nicht vertragen worden seien, halte der Arzt eine Therapie mit Cannabis für erforderlich. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme ab, da die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien (Bescheid vom 28. Mai 2018). Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass therapeutische Alternativen nicht mehr verfügbar seien, die Begründung seines behandelnden Arztes in dem Attest erscheine konkret genug, um einen begründeten Ausnahmefall im Sinne des Gesetzes zu belegen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2019 als unbegründet zurück. Eine leitlinien-gerecht ausgeschöpfte Behandlung der Schmerzen gemäß dem WHO-Stufenschema könne nicht nachvollzogen werden. Es bestünden sowohl medikamentöse als auch nicht medikamentöse alternative Behandlungsformen; eine ärztliche Begründung, warum diese nicht zum Einsatz kämen, liege nicht vor.

Der Kläger hat am 15. März 2019 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben und die Kostenübernahme für Cannabis sativa beantragt. Das Cannabis werde benötigt, um Schmerzen entgegenzuwirken und dem Grauen Star vorzubeugen, welcher durch die Nebenwirkungen des täglich wegen des Diabetes mellitus konsumierten Medikaments Metformin 1000 mg verursacht werde. Die gesundheitlichen Risiken der verschreibungspflichtigen Analgetika stünden in keinem Verhältnis zu dem möglichen Nutzen. Zu den Nebenwirkungen zählten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Leberschäden, Nierenversagen etc., außerdem erfordere ein Gewöhnungseffekt die Einnahme immer höherer Dosen.

Das Sozialgericht einen Befundbericht des Arztes F eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Befundbericht des Arztes vom 1. September 2019 Bezug genommen. Das Sozialgericht hat den Kläger bereits am 24. Oktober 2019 darauf hingewiesen, dass eine ärztliche Verordnung für das begehrte Cannabis nicht vorliege. Der Kläger hat auf das ärztliche Attest von Herrn F verwiesen, aus diesem gehe eindeutig hervor, dass die Notwendigkeit und die Indikationsvoraussetzungen für das begehrte Medizinalcannabis in vollem Umfange erfüllt seien.

Mit Urteil vom 9. Juni 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V seien nicht erfüllt. Die Kammer könne insbesondere nicht feststellen, dass im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärzte/Vertragsärztinnen unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung für ihn nicht zur Anwendung kommen könne. Der Kläger klage über krampfartige Schmerzen vor allem in Armen und Beinen. Gemäß dem Befundbericht des ihn seit 2014 behandelnden Internisten F lägen Befunde für diese Symptome nicht vor. Es gehe dementsprechend um eine symptomatische Behandlung, für diese stehe jedenfalls eine medikamentöse Schmerztherapie zur Verfügung. Es sei nicht feststellbar, dass der Kläger die entsprechenden schmerzlindernden Arzneimittel in eine...

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