Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Berufung. Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtsschutzbedürfnis. keine Fortsetzung des Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren. keine analoge Anwendung des § 145 Abs 5 S 1 SGG. außergerichtliche Kosten. Kostentragung
Leitsatz (amtlich)
1. Hat das Sozialgericht die Berufung nicht zugelassen, obwohl der Beschwerdewert 500 Euro übersteigt und ist die Berufung deshalb kraft Gesetzes zulässig, entfällt hierdurch nicht das Rechtsschutzbedürfnis für eine Nichtzulassungsbeschwerde. Mit dieser kann die Aufhebung der ausdrücklich ausgesprochenen Nichtzulassung der Berufung erreicht werden.
2. Hebt das Landessozialgericht die Nichtzulassung der Berufung auf, wird das Beschwerdeverfahren nicht kraft Gesetzes als Berufungsverfahren fortgesetzt; § 145 Abs 5 S 1 SGG ist weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.
3. Im Falle einer unrichtigen Sachbehandlung durch das Gericht, die in der fehlerhaften Entscheidung über die Zulassungsbedürftigkeit der Berufung liegt, entstandene außergerichtliche Kosten eines der Beteiligten sind weder einem anderen Beteiligten noch der Staatskasse aufzuerlegen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 8. September 2004 aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin wendet sich gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Berlin vom 8. September 2004. Ihren Antrag auf Kostenübernahme für “5 x Kältekammertherapie„ lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2003 ab. Mit ihrer zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage begehrte sie, ihr fünf Ganzkörperkältetherapien als Sachleistung zu gewähren und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, auf ärztliche Verordnung die Kosten einer Ganzkörperkältetherapie zu tragen. Mit dem Feststellungsantrag gehe es ihr darum, für die Zukunft klarzustellen, dass Kältetherapien bei ärztlicher Verordnung zu gewähren seien.
Mit Gerichtsbescheid vom 8. September 2004 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und die Berufung ausdrücklich - ohne eine Begründung - nicht zugelassen. Hiergegen hat die Klägerin unter dem 29. September 2004 Berufung sowie vorsorglich Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet; sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Sozialgerichts über die Nichtzulassung der Berufung. Denn die Berufung ist kraft Gesetzes nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig.
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG bedarf die Berufung u. a. der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500 € nicht übersteigt. Hiervon ist das Sozialgericht zu Unrecht ausgegangen. Denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500 € selbst dann, wenn man von Kosten von 56,24 € (= 110 DM) je Kältetherapie ausgeht, die der Senat der Bestimmung des Beschwerdegegenstandes in dem bei ihm anhängig gewesenen Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen L 9 KR 1093/01 zu Grunde gelegt hat (vgl. Urteil des Senats vom 5. Mai 2004 - L 9 KR 1093/01 -, zitiert nach juris ). Zwar erreicht der geltend gemachte Kostenübernahmeanspruch für die fünf Kältekammertherapien nur einen Beschwerdewert von 281,20 €, jedoch ist zu diesem Betrag der Wert der “Ganzkörperkältetherapie„ aus dem Feststellungsantrag hinzuzurechnen. Anders als in dem bereits genannten Berufungsverfahren ist der Streitwert hinsichtlich dieses Streitgegenstandes nach dem Vorbringen der Klägerin so auszulegen, dass mit einer “Ganzkörperkältetherapie„ eine Behandlungsserie gemeint ist, die auch nach den Darlegungen der Beklagten bis zu 50 Kältekammerbehandlungen umfassen kann. Nach dem Vorbringen des Klägervertreters bedarf es bei der chronisch kranken Klägerin jedenfalls mehr als vier weiterer Kältekammerbehandlungen (=224,96 €), so dass der Beschwerdewert von 500 € selbst bei einem im Übrigen derzeit ungewissen Umfang der mit der Feststellungsklage geltend gemachten gesamten Behandlungsserie überschritten wird. Ob eine “Ganzkörperkältetherapie„ eine wiederkehrende oder laufende Leistungen von mehr als einem Jahr betrifft, wie der Klägervertreter behauptet hat, bedarf deshalb keiner Klärung.
Da die Berufung danach kraft Gesetzes zulässig ist, bedarf es keiner Entscheidung des Senats über deren Zulassung, so dass die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin erfolglos bleiben muss, soweit sie hierauf gerichtet ist. Dem Ausspruch in dem Urteil des Sozialgerichts, dass die Berufung nicht zugelassen werde, kommt keine konstitutive Bedeutung zu (vgl. zu dem parallelen Problem in der Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫ in § 131 Abs. 8 Satz 1 VwGO a.F.: VGH München, BayVBl. 1993, 150; OVG Ham...