Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweilige Anordnung. Folgenabwägung. Krankenversicherung. nicht zugelassenes Arzneimittel (hier: "Sandostatin"). schwerwiegende Erkrankung (hier: polyzystische Lebererkrankung). kein Anspruch im Rahmen eines Off-Label-Use. Gesundheit und körperliche Unversehrtheit des Versicherten. Entgegenstehen finanzieller Interessen einer Krankenkasse. Begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Seltenheit der Erkrankung. Lebensgefahr
Orientierungssatz
Stehen bei der Folgenabwägung im Verfahren nach § 86b Abs 2 SGG einer schwerwiegenden, die Lebensqualität erheblich belastenden bzw ein normales Leben nicht mehr möglich machenden Erkrankung (hier: polyzystische Lebererkrankung), bei der zahlreiche zugelassene und empfohlene Behandlungsmethoden nicht dauerhaft und effektiv helfen konnten und die Ärzte daher für nicht mehr indiziert halten, ausschließlich finanzielle Interessen einer Krankenkasse entgegen, so kann das Gericht die Krankenkasse im Rahmen der einstweiligen Anordnung zur Versorgung des Versicherten mit einem nicht für das Indikationsgebiet zugelassenen Arzneimittel (hier: "Sandostatin") verpflichten, wenn bereits Studien vorliegen, die Erfolge bei der entsprechenden Behandlung nahelegen und für die ohne weitere zeitraubende ärztliche Ermittlungen unklar bleibt, ob sie einen Anspruch im Rahmen eines Off-Label-Use begründen.
Normenkette
SGB V § 31 Abs. 1, § 35c; SGG § 86b Abs. 2; GG Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 19 Abs. 4 S. 1
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2014 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin für die Zeit vom 11. August 2014 bis zum 11. November 2014 mit dem Arzneimittel Sandostatin LAR 20mg zu versorgen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Hälfte der dieser entstandenen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Gründe
1.) Nach § 155 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet der Vorsitzende über die Beschwerde allein, weil es sich um einen dringenden Fall i.S.d. genannten Vorschrift handelt. Im Hinblick auf die Schwere der Erkrankung der Antragstellerin sowie den mit einem weiteren Zuwarten auf eine Beschwerdeentscheidung verbundenen (vorläufigen ) Rechtsverlust, dass ihr die begehrte Leistung lediglich ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zugesprochen werden kann, ist nunmehr sofort über die Beschwerde zu entscheiden.
2.) Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts, die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen, die Antragstellerin vorläufig mit dem Arzneimittel Sandostatin LAR 20mg zu versorgen, ist u.a. im Hinblick auf die Vorlage einer ärztlichen Verordnung für das begehrte Arzneimittel im Beschwerdeverfahren zu ändern und die Antragsgegnerin zu der begehrten Leistung für den Zeitraum von drei Monaten zu verpflichten.
3.) Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierfür muss der Antragsteller grundsätzlich einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft machen (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 i.V.m § 920 Zivilprozessordnung). Für das Vorliegen des Anordnungsanspruchs sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt (vgl. zum Folgenden insbesondere BSG, Urteil vom 03. Juli 2012, B 1 KR 25/11 R, BSGE 111, 168-177, SozR 4-2500 § 31 Nr. 22, SozR 4-2500 § 19 Nr. 7).
4.) Die Antragstellerin kann zwar nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) die Krankenbehandlung verlangen, die notwendig ist, um ihre polyzystische Lebererkrankung erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztlichen Behandlung u.a. auch die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Das Arzneimittel Sandostatin LAR 20mg ist aber mangels Arzneimittelzulassung für die Erkrankung der Antragstellerin nach den allgemeinen Grundsätzen nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnungsfähig. Es ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf eine Versorgung nach den Grundsätzen des Off-Label-Use, der grundrechtsorientierten Leistungsausweitung oder des Seltenheitsfalles besitzt.
5.) Die Antragstellerin kann von der Beklagten eine Versorgung mit Sandostatin LAR 20mg nach den allgemeinen Grundsätzen nicht verlangen. Versicherte können die ...