Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Anordnung trotz bestandskräftigen Ablehnungsbescheides. Folgenabwägung. Bewilligung von Grundsicherungsleistungen durch einstweiligen Rechtsschutz trotz bindend gewordenen Ablehnungsbescheides

 

Orientierungssatz

1. Der Zulässigkeit eines Antrags auf Bewilligung von Leistungen des SGB 2 durch einstweiligen Rechtsschutz steht ein bestandskräftig gewordener Ablehnungsbescheid dann nicht entgegen, wenn der Betroffene nach Erlass dieses Bescheides beantragt hat, die Bestandskraft des Bescheides zu durchbrechen und ihm unter Aufhebung der entgegenstehenden Entscheidung die ablehnenden Leistungen zu gewähren.

2. Gleichgültig, ob der mit dem neuen Antrag verfolgte Anspruch aus § 44 Abs. 1 oder § 48 Abs. 1 SGB 10 herzuleiten wäre, ist die Zulässigkeit des Antrags auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz dann zu bejahen, wenn der Antragsgegner den bindend gewordenen Ablehnungsbescheid aufheben und die geltend gemachten Leistungen des SGB 2 gewähren müsste.

3. Das Sozialgericht muss im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen. Ist dies nicht möglich, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen. Drohen dem Antragsteller bei einer Ablehnung seines Antrags existenzielle Nachteile, die er aus eigener Kraft nicht imstande ist von sich abzuwenden, so haben die lediglich finanziellen Interessen des Leistungsträgers hinter den dem Antragsteller drohenden Nachteilen zurückzutreten.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Dezember 2008 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 12. Februar 2009 bis zum 31. Mai 2009, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von weiteren 310 € monatlich zu zahlen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller 3/5 der Kosten des Verfahrens für beide Instanzen zu erstatten.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten ohne Festsetzung von Monatsraten oder aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen bewilligt.

 

Gründe

Die den Zeitraum vom 1. Dezember 2008 bis zum 31. Mai 2009 betreffende Beschwerde des Antragstellers gegen den denselben Zeitraum erfassenden Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Dezember 2008 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet. Der angegriffene Beschluss ist unzutreffend, soweit dem Antragsteller hiermit die ihm nunmehr im Wege der einstweiligen Anordnung zuerkannten Leistungen versagt worden sind.

Bezogen auf die dem Antragsteller nunmehr zuerkannten Leistungen erweist sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG zunächst als zulässig. Ungeachtet der Frage des richtigen Prüfungsstandorts (streitiges Rechtsverhältnis, Rechtsschutzbedürfnis) steht der Zulässigkeit des Antrags insbesondere nicht entgegen, dass der Bescheid des Antragsgegners vom 12. November 2008, mit dem der Antragsgegner die begehrten Leistungen abgelehnt hat, nach Lage der Akten bestandskräftig geworden ist, weil der Antragsteller hiergegen erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist Widerspruch erhoben hat und der Antragsgegner diesen Widerspruch möglicherweise bereits mit seinem - in den Verwaltungsvorgängen allerdings nur als Entwurf vorhandenen - Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2009 als unzulässig verworfen hat. Denn mit Rücksicht auf die nach Lage der Akten eingetretene Bestandskraft des Ablehnungsbescheides steht zwischen den Beteiligten zwar nach § 77 SGG bindend fest, dass der vom Antragsteller verfolgte Leistungsanspruch derzeit nicht besteht. Angesichts der hier vorliegenden Besonderheiten des Einzelfalls bedeutet dies jedoch nicht, dass dem Antragsteller kein der vorläufigen Regelung fähiges Recht zur Seite stünde. Denn es darf hier nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antragsteller bereits am 22. Dezember 2008 bei dem Antragsgegner beantragt hat, die Bestandskraft des Bescheides vom 12. November 2008 zu durchbrechen und ihm unter Aufhebung der entgegenstehenden Entscheidung die abgelehnten Leistungen zu gewähren. Diesem Antrag lässt sich eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht absprechen, wobei dahinstehen kann, ob der mit ihm verfolgte Anspruch aus § 44 Abs. 1 oder § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) herzuleiten wäre. Denn unterschiedliche Ergebnisse folgen hieraus für das vorläufige Rechtsschutzverfahren nicht. Entscheidender Gesichtspunkt dafür, dass dem Antrag Erfolgsaussichten zu bescheinigen sind, ist hier (neben dem eventuellen Bestehen einer temporären Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers mit seinem Sohn und/oder dem Fehlen einer erneuten Kostensenkungsaufforderung für die Zeit nach dem Auszug des Sohnes aus der bis dahin gemeinsam bewoh...

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