Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts als unabweisbarer Bedarf nach § 23 Abs. 1 SGB 2

 

Orientierungssatz

1. Die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe notwendige Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist.

2. Fahrtkosten, die sich aus der Ausübung des Umgangsrechts ergeben, sind dem Grunde nach in der Regelleistung enthalten. Ist der Hilfebedürftige in Anbetracht seines Einkommens und der voraussichtlichen Höhe der Fahrtkosten auf ein Ansparen der Reisekosten nicht verweisbar, so ist die Feststellung eines unabweisbaren Bedarfs vertretbar.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2006 aufgehoben.

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Berlin seit dem 05. August 2005 bewilligt.

Rechtsanwalt B wird beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Klägerin verfolgt in der Beschwerdeinstanz ihren Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe weiter. Im Klageverfahren begehrt sie die Bewilligung eines Darlehens von der Beklagten.

Die am 0 1970 im L geborene Klägerin erhält von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 02. Juni 2005 bei der Beklagten die Bewilligung eines Darlehens in Höhe von 1000 Euro mit der Begründung, sie habe ihre in J lebenden Kinder seit drei Jahren nicht mehr gesehen.

Durch Bescheid vom 13. Juni 2005 hat die Beklagte den Antrag abgelehnt. Kosten für eine Reise nach J in Höhe von 1.000 Euro könnten nicht übernommen werden, auch nicht in Form eines Darlehens. Es werde nur der notwendige Lebensunterhalt sichergestellt. Durch Bescheid vom 27. Juli 2005 hat die Beklagte den dagegen eingelegten Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 23 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 20 Abs. 1 SGB II lägen nicht vor.

Mit der am 05. August 2005 beim Sozialgericht (SG) Berlin eingegangenen Klage hat die Klägerin den Anspruch auf Bewilligung eines Darlehens in Höhe von 1.000 Euro, hilfsweise 500 Euro weiterverfolgt. Zur Begründung der Klage wurde insbesondere vorgetragen, in der mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht Tempelhof-Kreuzberg vom 16. Februar 2005 habe sich die Klägerin mit dem geschiedenen Ehemann dahingehend geeinigt, dass sie in den nächsten Monaten für einen Zeitraum von einem Monat nach J reisen und die dort lebenden gemeinsamen Kinder besuchen dürfe. Danach sei der streitige Bedarf alsbald nach der erstmaligen Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II (01.Januar 2005) entstanden. Es liege nach den Umständen ein unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts vor, der weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden könne. Die Klägerin sei nicht in der Lage, die Kosten durch ein Ansparen aus der Regelleistung zu decken.

Die Klägerin beantragt in der Hauptsache,

die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Juni 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2005 zum Geschäftszeichen Team 714 - BG.-Nr.: … das beantragte Darlehen von 1.000,00 Euro zu bewilligen, hilfsweise ein Darlehen von 500,00 Euro

und ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie stützt sich auf den Inhalt ihrer angefochtenen Bescheide und verweist des Weiteren darauf, es dürfe der Klägerin nicht verwehrt sein, ihr Begehren unter Berufung auf die Auffangnorm für unbenannte Notlagen gemäß § 73 SGB XII beim hierfür zuständigen Leistungsträger geltend zu machen.

Durch Beschluss vom 30. Januar 2006 hat das SG Berlin das Prozesskostenhilfegesuch zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für das Begehren seien nicht erfüllt. Es fehle bereits am konkreten Nachweis des in Höhe von 1.000 Euro, hilfsweise 500 Euro geltend gemachten Bedarfs. Es sei nicht ersichtlich, wie die Klägerin zu diesen Beträgen gelangt sei. Überdies fehle es jedenfalls an der Unabweisbarkeit des Bedarfs, die begriffsnotwendig nur dann gegeben sei, wenn der Bedarf nicht aufgeschoben und auch nicht auf andere Art und Weise gedeckt werden könne. Den Angaben der Klägerin zufolge habe sie ihre Kinder bereits seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Vor diesem Hintergrund lasse sich nicht einmal ansatzweise nachvollziehen, warum jetzt auf einmal ein nicht aufschiebbarer Bedarf gegeben sein solle, dies umso weniger, als nach so langer Zeit sich eine am Kindeswohl orientierte und durch eben dieses erforderliche Wahrnehmung des zivilrechtlichen Umgangsrechts nur schwerlich begründen lasse. Die Klägerin sei eindeutig darauf zu verweisen, die Kosten für eine Besuchsreise anzusparen oder sich wegen der hierfür erstrebten Leistungen an den ö...

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