Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Nachfolgezulassung. Berücksichtigung des Interesses des Praxisabgebenden

 

Orientierungssatz

1. Bei einer Nachfolgezulassung sind die in § 103 Abs 4 S 5 SGB 5 aufgeführten "Kriterien" nicht "zu beachten", sondern lediglich "zu berücksichtigen". Damit wird keine strikte Verbindlichkeit vorgegeben. Der Begriff "berücksichtigen" beinhaltet allein, dass die Zulassungsgremien die gesetzlich vorgegebenen Kriterien nicht gänzlich außer Betracht lassen dürfen, sondern sie in ihre Überlegungen mit einbeziehen - in Erwägung ziehen - müssen; es steht ihnen aber frei, hiervon aus Sachgründen abzuweichen. Aus dem Charakter der Auswahlentscheidung als Ermessensentscheidung folgt, dass die gerichtliche Überprüfung darauf beschränkt ist, ob das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde und der Kläger durch den Ermessensfehler beschwert ist.

2. Die Ermessensentscheidung des Zulassungsausschusses hat dem Interesse des Praxisabgebenden an einem privatrechtlichen Verkauf der Praxis zu einem Kaufpreis, der mindestens dem Verkehrswert entspricht, ausreichend Rechnung zu tragen. Ein höheres wirtschaftliches Interesse darf nach § 103 Abs 4 S 8 SGB 5 nicht berücksichtigt werden.

 

Tenor

Die Beschwerden der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 18. März 2019 werden zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens L 24 KA 30/19 B ER zu tragen. Alle Beigeladenen haben jedoch für ihre Kosten selbst aufzukommen.

Der Wert des Beschwerdeverfahren wird auf 41.580,-- € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine Nachbesetzungsentscheidung des Antragsgegners.

Im Streit steht die Nachfolge der Besetzung eines halben Vertragsarztsitzes der psychologischen Psychotherapeutin W in P.

Diese hatte mit Ausschreibungserklärung auf ihre bestehende Zulassung mit einem hälftigen Versorgungsauftrag für den Praxissitz P, LStr nach § 95 Abs. 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) unter dem Vorbehalt der bestandskräftigen Zulassung eines Nachfolgers verzichtet. Sie praktizierte und praktiziert als psychologische Psychotherapeutin in den Richtlinienverfahren tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und analytische Psychotherapie.

Auf die Ausschreibung gingen acht Bewerbungen beim Zulassungsausschuss für Ärzte bei der kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (Zulassungsausschuss) ein, wovon zwei wieder zurückgenommen wurden. Die Praxisabgebende äußerte den Wunsch, die Praxis an die Antragstellerin weiterzugeben. Eine Weiternutzung der bisherigen Praxisräume sei nicht möglich, da sich diese in ihrem privaten Wohnhaus befänden.

Die Antragstellerin ist psychologische Psychotherapeutin und seit dem 31. Juli 2015 approbiert. Sie bewarb sich am 27. Juli 2017 um die streitgegenständliche Nachfolge. Sie gab unter anderem an, dass sie den Versorgungsauftrag in ihren bereits bestehenden Praxisräumlichkeiten annehmen wolle.

Die Beigeladene zu 8) ist psychologische Psychotherapeutin und hat ihre Approbation seit dem 26. Oktober 2013. Sie bewarb sich am 4. September 2017 für den streitgegenständlichen Vertragsarztsitz.

Der Zulassungsausschuss ließ mit Beschluss vom 13. Dezember 2017 die Beigeladene zu 8) zur vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit für einen hälftigen Versorgungsauftrag als psychologische Psychotherapeutin und Nachfolgerin der W mit Wirkung ab dem 01. April 2018 zu, vorbehaltlich der Wirksamkeit des Verzichts auf die Zulassung. Die Zulassung wurde mit der „Auflage/Nebenbestimmung“ verbunden, unter der aufschiebenden Bedingung zu stehen, dass die privatrechtliche Einigung zwischen der Praxisabgebenden und der Praxisnachfolgerin nachgewiesen werde.

In dem Beschluss wurden ferner die Anträge der Antragstellerin und der weiteren Bewerber abgelehnt. Zur Begründung führte der Zulassungsausschuss unter anderem aus, dass nur die Klägerin und die Beigeladene zu 8) wie die Praxisabgebende berechtigt seien, in den Richtlinienverfahren tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sowie analytische Psychotherapie zu praktizieren. Gesetzliches Ziel einer Nachbesetzung sei die Fortführung der bisherigen Praxis. Grundsätzlich sei das angewandte Therapieverfahren hierfür nicht relevant. Im Einzelfall könne wie hier jedoch die Nachfolgeeignung nur gegeben sein, wenn Nachfolger und Vorgänger dieselben Richtlinien-Verfahren anwendeten und die zu versorgende Patientenklientel eine Weiterbehandlung mit Hilfe desselben Verfahrens erfordere. Im Rahmen der Entscheidung zwischen den beiden in Betracht kommenden Bewerbern habe der Zulassungsausschuss das Approbationsalter und damit zusammenhängend die Dauer der psychotherapeutischen Tätigkeit vorrangig vor der Eintragung in die Warteliste gewichtet. Von Letzterem ließe sich der geringste Rückschluss auf eine fachliche Eignung ableiten. Die Beigeladene zu 8) verfüge dagegen über das längere Approbationsalter und habe daraus folgend eine größere Berufserfah...

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