Entscheidungsstichwort (Thema)

Begrenzung der Dauer von Leistungen der Sozialhilfe bei deren Bewilligung durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB 12 durch einstweiligen Rechtsschutz ist ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Hierzu hat der Antragsteller nachzuweisen, dass ihm finanzielle Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhalts nicht zur Verfügung stehen.

2. Auch ein Ausländer, der dem Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 S. 1 SGB 12 erste oder zweite Alternative unterfällt, können vom Sozialhilfeträger Leistungen in Ausübung von Ermessen gewährt werden, soweit es im Einzelfall gerechtfertigt ist.

3. Bei der Dauer der zu gewährenden Leistungen ist u. a. das Alter des Hilfebedürftigen zu berücksichtigen, ebenso die Tatsache, dass es in einem saisonbedingt entspannten Arbeitsmarkt leichter gelingt, zeitnah eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

4. Ferner sind Umstände entscheidungsrelevant, die darauf schließen lassen, dass der Antragsteller nicht auf Dauer im Inland verweilen wird bzw. wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat.

 

Normenkette

SGB XII § 23 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 1, § 2; SGG § 86b Abs. 2 S. 2; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. Februar 2016 geändert.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 404,00 Euro monatlich für die Zeit vom 13. April 2016 bis zum 12. Juli 2016, längstens bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Klägers vom 29. Januar 2016 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Januar 2016, zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das Verfahren vor dem Sozialgericht und für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwältin J K, Pstraße B, beigeordnet.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt von dem Antragsgegner Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) ab dem 17. Dezember 2015.

Der 1988 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger. Er studierte in Polen von September 2007 bis September 2012 Politikwissenschaften sowie Verwaltungs-Management und Public Management. Von Juli 2013 bis November 2014 war er in verschiedenen Tätigkeiten in Polen berufstätig, zuletzt als Verkaufsstellenleiter. Eigenen Angaben zufolge reiste er im November 2014 nach Deutschland ein.

In Deutschland übte er eigenen Angaben zufolge vom 20. November 2014 bis 15. Juni 2015 eine Tätigkeit als Bauhelfer (Abriss, Schuttbeseitigung, Transportarbeiten auf der Baustelle) bei dem Arbeitgeber D M (Fa. “D. M. H S„) aus, wobei er ab Februar 2015 nur noch Teilzeit arbeitete. Der Antragsteller gibt an, sich während dieser Berufstätigkeit fast ausschließlich in Berlin aufgehalten zu haben, er habe bei vielen Freunden gewohnt, da er weder eine eigene Wohnung noch ein Zimmer habe finden können. Die Lohnabrechnungen seines Arbeitgebers wurden an eine Adresse des Antragstellers im J/Polen adressiert. Bei der deutschen Sozialversicherung wurde er mit einer Adresse in Polen angemeldet. Eine am 15. Mai 2015 “betriebsbedingt„ ausgesprochene Kündigung zum 15. Juni 2015 war ebenfalls an die Adresse in Polen adressiert.

In der Zeit vom 12. März bis 22. April 2015, 28. April bis 29. Mai 2015, 3. bis 30. Juni 2015, 7. Juli bis 14. September 2015 und erneut vom 16. September bis 13. Oktober 2015 besuchte der Antragsteller in Berlin Integrationskurse gemäß § 14 Abs. 4 der Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (Integrationskursverordnung - IntV).

Zum 1. Juni 2015 schloss der Antragsteller mit seinem vormaligen Arbeitgeber Herrn M einen Untermietvertrag, wonach er ab dem 1. Juni 2015 eine Wohnung in B-N in der Astraße mit 70,5 m² Wohnfläche für eine Warmmiete von monatlich 300 € anmietete. Der Antragsteller meldete sich in dieser Wohnung zum 16. Juni 2015 polizeilich an.

Am 9. Juli 2015 beantragte der Antragsteller beim zuständigen Jobcenter die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II. Hierbei gab er an, in Deutschland leben und arbeiten zu wollen. Er legte eine Bescheinigung seines ehemaligen Arbeitgebers und jetzigen Vermieters (Fa. M GmbH) vor, wonach dieser ihn nach Absolvierung eines “Orientierungskurses B 2+„ einstellen wolle.

Den Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II lehnte das Jobcenter mit Bescheid vom 15. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2015 mit der Begründung ab, § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II schließe einen Anspruch aus, weil der Antragsteller ein Au...

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