Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung eines höherwertigen Hilfsmittels durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Bei der Versorgung eines gehbehinderten Versicherten mit Unterschenkelprothesen nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB 5 gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts. Die Wirtschaftlichkeit des geltend gemachten Hilfsmittels ist zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teuere Hilfsmittel zur Wahl stehen.

2. Sind für eine Versorgung mehrere Systeme vorhanden, so ist deren Geeignetheit im konkreten Fall nur in einem Hauptsacheverfahren, aber nicht im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in der gebotenen Vollständigkeit zu klären.

3. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verbieten sich zeitraubende Ermittlungen. Eine Leistungsgewährung vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens soll die Ausnahme und nicht die Regel darstellen.

4. Hat der Träger der Krankenversicherung bereits ein Paar neue Unterschenkelprothesenschäfte und neue Prothesenfüße herkömmlicher Art bewilligt, so ist es dem Versicherten zuzumuten, von dieser Bewilligung Gebrauch zu machen und seinen Versorgungsanspruch mit der von ihm gewünschten Alternativversorgung in einem Hauptsacheverfahren weiterzuverfolgen.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. März 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

1.) Der Vorsitzende und Berichterstatter konnte über die Beschwerde gemäß

§§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) allein entscheiden, weil die Verfahrensbeteiligten hierzu ihr Einverständnis zu Protokoll erklärt haben.

2.) Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. März 2014 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat seinen Antrag, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig, bis zu einer Entscheidung in der Hautsache, mit zwei Prothesenfüßen “Echelon VT„, einem LimbLogic Unterdrucksystem sowie zwei neuen Unterschenkelprothesenschäften zu versorgen, im Ergebnis rechtsfehlerfrei abgelehnt.

3.) Ein Anordnungsanspruch lässt sich mit der für das einstweilige Rechtsschutzverfahren erforderlichen Wahrscheinlichkeit derzeit nicht feststellen (vgl. § 86b Abs. 2 Sätze 2 und 4 i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).

a) Nach § 33 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung auch, müssen die Leistungen nach § 33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V).

Da mit den Unterschenkelprothesen der Ausgleich der Behinderung erfolgen soll, indem die nicht vorhandenen Gliedmaßen künstlich ersetzt werden, hat die Prüfung des Anspruchs anhand des § 33 Abs. 1 Satz 1, dritte Alternative SGB V zu erfolgen. Im Vordergrund steht daher der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis. Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist. Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2009, B 3 KR 2/08 R juris, dort RdNr. 18 [Badeprothese]; Urteil vom 16. September 2004, B 3 KR 20/04 R, juris, dort RdNr. 12 ff. [C-Leg], Landessozialger...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge