Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Entschädigung von Sachverständigen. Abrechnung ärztlicher Leistungen. Voraussetzung der Annahme einer elektrophysiologischen Untersuchung eines Menschen als Abrechnungsgegenstand

 

Orientierungssatz

Bei der Vergütung der Tätigkeit eines medizinischen Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren ist eine elektrophysiologische Untersuchung immer dann anzunehmen, wenn im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung bestimmte elektrischer Potentiale technisch abgeleitet werden und dabei zum Beispiel auch elektromechanische Aktivitäten von Sinneszellen untersucht werden. Nutzen Untersuchungen dagegen ein willentlich gesteuertes Verhalten des Untersuchten (hier: Tonschwellenaudiogramm und Sprachaudiogramm), liegt keine elektrophysiologische Untersuchung vor.

 

Tenor

Die Vergütung für das Gutachten im Verfahren L 3 U 28/15 wird auf 2.785,75 € festgesetzt.

Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten über die Abrechnung technischer (HNO-ärztlicher) Leistungen nach der GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte), insbesondere über den Begriff „elektrophysiologische Untersuchung eines Menschen“ in Abschnitt 3 Nr. 305 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG.

Zu Recht gehen die Beteiligten im Ergebnis davon aus, dass erbrachte GOÄ-Leistungen nur dann neben dem Honorar nach §§ 8, 9 JVEG abgerechnet werden können, wenn die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 oder 2 JVEG erfüllt sind. Dabei hält der Senat aus Gründen der Abrechnungspraktikabilität daran fest, dass die Gebührenrahmen der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG durch die Werte der GOÄ als Leitlinien ausgefüllt werden können, ohne dass eine rechtliche Bindung besteht. (z.B. Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG - JVEG, Anlage 2 zu § 10 JVEG Rn.1 m.w.N.).

Im Rahmen der Begutachtung hat der Sachverständige - ein HNO-Arzt - folgende GOÄ-Ziffern erbracht:

1403

Tonschwellenaudiogramm

1404

Sprachaudiogramm

1407

Impedanzaudiometrie

1409

DPOAE bds.

1409

TEOAE bds.

1412

Experiment Prüfung des Gleichgewichts

1413

Kopfimpulstest

1415

Binokularmikroskopie des Trommelfells

1418

Endoskopie Nase (NRR)

1530

Lupenlaryngoskopie

Im Verwaltungswege sind diese Ziffern nicht vergütet worden, auch nicht nach Zeit (§§ 8, 9 JVEG), da davon ausgegangen wurde, dass die technischen Leistungen während der angegebenen Zeitspanne der vergüteten körperlichen Untersuchung erbracht wurden, so dass eine erneute Berücksichtigung nach Zeit eine Doppelvergütung dargestellt hätte.

Auf den Antrag auf richterliche Festsetzung waren lediglich die Nrn. 1407, 1409, 1413 als „elektrophysiologische Untersuchung eines Menschen“ nach Nr. 305 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG zu vergüten. Die genannten restlichen Ziffern erfüllen die Definition nicht; dass sie nicht zum Abschnitt O der GOÄ i. S. des § 10 Abs. 2 JVEG zählen ist ohnehin zu Recht unstreitig. Eine Vergütung nach Zeit konnte deshalb nicht erfolgen, da der Antragsteller trotz mehrfachen Hinweises des Senats nicht angegeben hat, welche Zeit neben der vergüteten körperlichen Untersuchung aufgewandt wurde. Er hat lediglich versichert, die technischen Untersuchungen außerhalb des Zeitrahmens für die körperliche Untersuchung erbracht zu haben, so dass es zu keiner Doppelabrechnung komme.

Anspruchsgrundlage für die abgerechneten technischen Leistungen nach der GOÄ kann von vornherein nur die Nr. 305 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG sein. Danach ist eine elektrophysiologische Untersuchung eines Menschen abrechenbar. Was unter diesem Begriff zu verstehen ist, ist vornehmlich aus der medizinischen Fachliteratur abzuleiten. Danach befasst sich die Elektrophysiologie als Teilgebiet der Physiologie mit der elektrischen Aktivität von Herz, Muskeln, Nerven und Sinnesorganen und bedient sich der Elektrodiagnostik (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Auflage, Stichwort : Elektrophysiologie). Insbesondere befasst sie sich als Teil der Neurophysiologie auch mit der elektromechanischen Signalübertragung im Nervensystem von Lebewesen (vgl. z.B. Schmidt/Lang/Thews, Physiologie des Menschen, Springer Verlag, 29. Auflage). Bei entsprechenden Untersuchungen geht es demgemäß um die technische Ableitung bestimmter elektrischer Potentiale. Eine bestimmte Form der Ableitung schreibt die Nr. 305 der Anlage 2 dagegen nicht vor. Der Begriff der Untersuchung umfasst daher alle technisch möglichen Verfahren zur Ableitung elektrophysiologischer Potentiale, er ist nicht auf bestimmte Verfahren beschränkt. Für eine solche Beschränkung gibt der Wortlaut der Nr. 305 keinen Anhalt.

Nach dieser Definition sind die Nummern 1403, 1404, 1412, 1415, 1418 und 1530 keine technischen Verfahren zur Ableitung elektrophysiologischer Potentiale.

Beim Tonschwellenaudiogramm (1403) drückt der Proband auf einen Signalknopf, sobald er das über den Kopfhörer übertragene Signal wahrnimmt. Beim Sprachaudiogramm (1404) geht es um das Verstehen von Wörtern oder Silben. Die Verfahren leiten keine elektrischen Signale ab, sondern nutzen als Erkenntnisque...

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