Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährungsfrist bei vorsätzlich vorenthaltenen Beiträgen

 

Orientierungssatz

1. Nach § 25 Abs. 1 S. 1 SGB 4 verjähren Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind.

2. Eine Verjährungsfrist von dreißig Jahren gilt dann, wenn die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind. Bedingter Vorsatz genügt; ausreichend ist, dass der Beitragsschuldner während des Ablaufs der regelmäßigen Verjährungsfrist bösgläubig geworden ist.

3. Hierzu muss der innere Tatbestand des Vorsatzes bezogen auf die konkreten Verhältnisse und den konkreten Beitragsschuldner festgestellt werden.

4. Von fehlendem Vertrauen kann nicht ohne weiteres auf Vorsatz geschlossen werden. Die bloße Erwartung, ein oberstes Bundesgericht werde eine ungeklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinn beantworten, begründet kein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahren wird auf 1.728,21 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs.

Die Antragstellerin betreibt Arbeitnehmerüberlassung. In den Jahren 2005 bis 2010 entlohnte sie ihre Arbeitnehmer auf der Grundlage der von der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (GCZP) geschlossenen Tarifverträge.

Im Anschluss an eine vom 14. August 2012 bis zum 14. November 2012 durchgeführte Betriebsprüfung in der Niederlassung C der Antragstellerin forderte die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 08. April 2013 Beiträge für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2009 in Höhe von 26.506,50 EUR nach. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) habe die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt. Daraus folge die Unwirksamkeit der von dieser Tarifgemeinschaft abgeschlossenen Tarifverträge, welche nach dem im Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) verankertem Equal-Pay-Grundsatz zu höheren Lohn- und damit auch Beitragsansprüchen führe.

Die Antragstellerin legte Widerspruch ein und hat am 14. April 2015 beim Sozialgericht Berlin die Aussetzung der Vollziehung beantragt.

In einem Parallelverfahren zwischen denselben Beteiligten, welches die Niederlassung Hamburg betroffen hat, hat der Senat mit Beschluss vom 30. März 2015 (L 1 KR 426/14 BER) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches durch das Sozialgericht bestätigt, soweit es Beiträge für die Zeit vor 2007 betroffen hat.

Das Sozialgericht hat durch Beschluss vom 11. Mai 2015 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich der Beitragsnachforderungen für das Jahr 2006 über 3.456,41 EUR angeordnet. Es hat den Antrag im Übrigen (Beitragsnachforderungen für 2007 über 5.814,03 EUR) abgelehnt. Es bestünden soweit eine Stattgabe erfolgt sei, erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides. Zur Begründung hat es sich die Auffassung des Senats (B. v. 29. Juli 2014 - L 1 KR 131/14 BER) zu eigen gemacht, dass der Nachforderungsanspruch bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Prüfbescheides verjährt gewesen sei, soweit es Beiträge für die Zeit vor 2007 betroffen habe. Verjährungseinrede sei erhoben.

Gegen den ihr am 13. Mai 2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 5. Juni 2015 eingegangene Beschwerde der Antragsgegnerin. Es sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin bereits vor der Entscheidung des BAG v. 14. Dezember 2010 erhebliche Zweifel an der Tariffähigkeit der CGZP gehabt und mit der Möglichkeit einer Nachzahlung gerechnet habe. Dieses Urteil habe eine erhebliche Öffentlichkeitswirkung entfaltet. Der Sachverhalt unterschiede sich ihres Erachtens nicht von dem des Parallelverfahrens (L 1 KR 426/14 BER). Sie berufe sich aber auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. April 2015 (1 BvR 2314/12).

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2015 hinsichtlich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs für das Jahr 2006 aufzuheben, und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs insgesamt zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist unter anderem auf den Beschluss des Senats vom 30. März 2015.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Mit Recht hat das Sozialgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 8. April 2013 angeordnet, soweit Beitragsnachforderungen für das Jahr 2006 betroffen sind.

Beiträge für das Jahr 2007 sind hier nicht mehr streitbefangen.

Der Senat hat hierzu in seinem Beschluss vom 30. März 2015 ausgeführt:

"Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruc...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge