Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Vollstreckungsverfahren. Beschwerde gegen Festsetzung des Gegenstandswertes. Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist. fehlendes Verschulden. Vermutung bei fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung. Einschränkung. Rechtsanwalt. vorhandene Kenntnis zu Verfahrensrecht und Rechtsmittelsystem
Orientierungssatz
1. Voraussetzung für ein fehlendes Verschulden iS von § 33 Abs 5 S 2 RVG ist, dass die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung überhaupt für die Fristversäumnis ursächlich geworden ist.
2. Von einem Rechtsanwalt, zu dessen Pflichten es gehört, seinen Mandanten zutreffend über die formellen Voraussetzungen des gegebenen Rechtsmittels zu belehren, ist zu erwarten, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kann dieser deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. Oktober 2018 wird verworfen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die festgesetzte Höhe des Gegenstandswertes seiner anwaltlichen Tätigkeit.
Der Antragsteller, der als Bevollmächtigter der ER (Auftraggeberin) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. Juni 2015, mit dem der Auftraggeberin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab 1. März 2015 versagt worden waren, Widerspruch eingelegt hatte, hatte als Verfahrensbevollmächtigter der Auftraggeberin am 24. Juni 2015 beim Sozialgericht Berlin beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Auftraggeberin vorläufig ab dem 24. Juni 2015 bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Leistungsantrag vorläufig Arbeitslosengeld II zu bewilligen. Mit Beschluss vom 3. August 2015 – S 91 AS 12859/15 ER hatte das Sozialgericht im Wege der einstweiligen Anordnung den Antragsgegner verpflichtet, für den Zeitraum ab dem 24. Juni 2015 bis zum rechtskräftigen Abschuss eines Verfahrens in der Hauptsache, längstens jedoch bis einschließlich zum 31. August 2015, der Auftraggeberin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 399 Euro monatlich zu gewähren. Zugleich war der Antragsgegner zur Erstattung der zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Auftraggeberin verpflichtet worden.
Mit dem am 21. August 2015 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag beantragte der Antragsteller, dem Antragsgegner gemäß § 201 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Zwangsgeld von 1.000 Euro für den Fall anzudrohen, dass er nicht unverzüglich die nach dem Beschluss vom 3. August 2015 zu gewährenden Leistungen an die Auftraggeberin auszahlt. Der Antragsgegner, der den Antrag für unzulässig gehalten hat, hatte dem Antragsteller mit Schreiben vom 19. August 2015 mitgeteilt, dass in Umsetzung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin heute ein Betrag von insgesamt 891,10 Euro angewiesen worden sei. Am 28. August 2015 erklärte der Antragsteller, dass das Anerkenntnis angenommen werde. Zugleich hat er beantragt, dem Antragsgegner die Kosten aufzuerlegen.
Am 3. September 2015 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin beantragt, nachstehende Gebühren und Auslagen wie folgt festzusetzen:
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Verfahrensgebühr (Erkenntnisverfahren) Nr. 3102 |
300,00 Euro |
Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 |
20,00 Euro |
1,3 Verfahrensgebühr (Vollstreckungsverfahren) nach Streitwert von 891,10 Euro Nr. 3100 |
104,00 Euro |
Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 |
20,00 Euro |
Nettosumme |
444,00 Euro |
Umsatzsteuer Nr. 7008 |
84,36 Euro |
zu zahlender Betrag |
528,36 Euro. |
Mit dem am 12. Februar 2016 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag hat der Antragsteller die Festsetzung des Gegenstandswerts gemäß § 33 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) beantragt.
Mit Beschluss vom 4. Oktober 2018 hat das Sozialgericht den Streitwert auf 500 Euro festgesetzt: Maßgeblich sei insoweit nicht der Wert der zu erzwingenden Handlung, sondern die Höhe des beantragten Zwangsgeldes und, da vorliegend nicht die Festsetzung, sondern lediglich die Androhung begehrt worden sei, hiervon die Hälfte. In der Rechtsmittelbelehrung heißt es u. a.: Die Frist für die Einlegung der Beschwerde endet sechs Monate, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder sich anderweitig erledigt hat.
Gegen den ihm am 18. Oktober 2018 zugestellten Beschluss richtet sich die am 29. November 2018 eingelegte Beschwerde des Antragstellers.
Er meint, die Beschwerde sei nicht verfristet, da die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft sei. Di...