Entscheidungsstichwort (Thema)

Anhörung. Nachholung im Widerspruchsverfahren. ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Schätzung der Beiträge. Schätzung der Entgelte. Schwarzarbeit. Service-Unternehmen. Abdeckrechnungen. unbillige Härte

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. Mai 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 2/3 und die Antragsgegnerin zu 1/3.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und das erstinstanzliche Verfahren auf 90.971,95 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Streitig ist die sofortige Vollziehbarkeit von Beitragsforderungen der Antragsgegnerin aus sechs Änderungsbescheiden vom 29. Oktober 2021 zur Beitragsfestsetzung für die Jahre 2015, 2016 und 2017.

Die Antragstellerin ist ein seit Dezember 2014 in der Rechtsform einer GmbH geführtes Bauunternehmen, das für den streitgegenständlichen Zeitraum ein Gewerbe für die Erbringung von Schalungs- und Maurerarbeiten sowie Stahlverlegung angemeldet hatte und dessen alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter V K war. Das Unternehmen wurde am 23. April 2015 an den Bruder F K veräußert. Die Antragstellerin ist Mitglied der Antragsgegnerin. Auf Grund der von der Antragstellerin mitgeteilten Lohnsummen in den einzelnen Gewerbezweigen setzte die Antragsgegnerin die Beiträge sowie die Beiträge für den Arbeitsmedizinischen-Sicherheitstechnischen Dienst (ASD) zunächst wie folgt fest:

Jahr   

Bescheiddatum

Beitrag

Gewerbe/Entgelt

Büro/Entgelt

2015   

26.04.2016

15.631,36 €

240.596 €

3.585 €

2015 (ASD)

26.04.2016

198,27 €

2016   

25.04.2017

38.175,16 €

438.919 €

11.300 €

2016 (ASD)

25.04.2017

477,41 €

2017   

25.04.2018

19.683,70 €

232.091 €

11.750 €

2017 (ASD)

25.04.2018

222,77 €

Diese Beiträge wurden von der Antragstellerin entrichtet.

Aufgrund des Verdachts unter anderem des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Strafgesetzbuch (StGB) sowie des Betrugs (§ 263 StGB) und der Steuerhinterziehung (§ 370 Abgabenordnung - AO) durch illegale Beschäftigung weiterer, nicht angemeldeter Arbeitnehmer wurde gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin am 05. Dezember 2016 ein Strafverfahren eingeleitet. Insoweit wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Berlin (Az.: 246 Js 902/17) verwiesen.

Im Rahmen der Ermittlungen erfolgten unter anderem Durchsuchungen in den Büroräumen der Antragstellerin, bei dem mit der Finanz- und Lohnbuchhaltung beauftragen Unternehmen, bei einem Vorarbeiter der Antragstellerin und in der als Wohnsitz angegebenen Wohnung des Geschäftsführers, Vernehmungen von auf Baustellen der Antragstellerin tätigen Personen und Bauleitern von Auftraggebern. Außerdem wurden Durchsuchungen bei Nachunternehmern der Antragstellerin, die in dem Verdacht standen, als sogenannte Servicefirmen Scheinrechnungen erteilt zu haben, durchgeführt und deren Angestellte und Geschäftsführer vernommen. Es erfolgte die Beschlagnahme einer Vielzahl von Unterlagen zu von den von der Antragstellerin geschlossenen Verträgen mit Auftraggebern und Nachunternehmen, von Lohnaufzeichnungen sowie von Unterlagen der Nachunternehmen. Die Ermittlungsbehörden werteten u. a. Daten zum Zahlungsverkehr, zu Barabhebungen und Scheckeinlösungen für die Konten der Antragstellerin und der Subunternehmen (vgl. z. B. Anzeige des Verdachts auf Geldwäsche gegenüber der L GmbH, aus und führten in Bezug auf auf den Baustellen der Antragstellerin beschäftigte sowie bei der Antragstellerin und Nachunternehmen zur Sozialversicherung gemeldete Personen Abfragen beim Finanzamt und den Sozialversicherungsträgern durch. Die Ermittlungsergebnisse sind geordnet nach den Servicefirmen in den Sonderbänden 8 bis 14 der Akten der Staatsanwaltschaft zusammengefasst.

Das Hauptzollamt Frankfurt (Oder) (HZA) bat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 09. Juni 2020 um Berechnung ihres Beitragsschadens. Sie verwies hierzu auf eine Berechnung der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Berlin-Brandenburg vom 28. Mai 2020, die am 15. Juni 2020 noch einmal geändert wurde. Die DRV ging nach einer Betriebsprüfung gem. § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) unter Berücksichtigung eines Lohnkostenfaktors von 90% in Bezug auf die Firmen D, D GmbH, KE GmbH, KL GmbH, L GmbH und S GmbH von Lohnkosten in Höhe von 988.987,58 Euro für 2015, in Höhe von 1.962.963,37 Euro für 2016 und in Höhe von 1.483.947,71 Euro für 2017 aus.

Die Antragsgegnerin errechnete nach Abzug der bereits an sie gemeldeten Entgelte einen Beitragsschaden in Höhe von 363.887,81 Euro für die Jahre 2015 bis 2017. Das HZA übermittelte der Antragsgegnerin am 23. November 2020 den von ihm erstellten Zwischenbericht vom 13. September 2019. Daraus ergab sich, dass auf Grund der gegen diese geführten Ermittlungen davon auszugehen sei, dass es sich bei den von der Antragstellerin beauftragten Unternehmen um sogenannte Servicefirmen handele, die Scheinrechnungen erstellten. Ermittlungen zu verschiedenen Großbauvorhaben hätten ergeben, ...

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