Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung des Grundsicherungsträgers mit einem von ihm dem Hilfebedürftigen gewährten Darlehen
Orientierungssatz
1. Solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, werden nach § 42a Abs. 2 SGB 2 Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs getilgt. Dies gilt nicht, soweit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 24 Abs. 5 SGB 2 oder § 27 Abs. 4 SGB 2 erbracht werden.
2. Eine nach § 42a Abs. 2 S. 2 SGB 2 zulässige Aufrechnung setzt die Ausübung von Ermessen voraus. Lediglich hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung ist Ermessen nicht auszuüben.
3. Ermessen braucht nur insoweit ausgeübt zu werden, als hierfür geeignete Tatsachen vorhanden sind. Diese sind, soweit nicht aktenkundig, vom Betroffenen bis zum Ablauf des Widerspruchsverfahrens geltend zu machen.
4. Liegt ein atypischer Fall nicht vor, so muss der Aufrechnungsbescheid die vom Grundsicherungsträger angestellten Ermessenserwägungen enthalten.
5. Eine durch die Darlehensrückzahlung ausgelöste vorübergehende monatliche Kürzung der Regelleistung ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Dagegen bestehen gegen eine Unterdeckung des Bedarfs von monatlich 38.- €. über einen Zeitraum von 21 Monaten verfassungsrechtliche Bedenken.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 2015 aufgehoben.
Dem Sozialgericht werden die weiteren Anordnungen zur Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse übertragen.
Gründe
Der Kläger wendet sich gegen einen Rückzahlungsanspruch aus einem Mietkautionsdarlehen durch monatliche Aufrechnung gegen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Dem im Juni 1978 geborenen Kläger hatte der Beklagte mit Bescheid vom 4. Juni 2013 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai 2013 bis 31. Oktober 2013, ab 1. Juni 2013 in Höhe von 768,80 Euro monatlich bewilligt.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2013 gewährte der Beklagte dem Kläger im Hinblick auf die ihm erteilte Zusicherung zu den Aufwendungen für die neue Wohnung und die Zusicherung für die Übernahme einer Mietkaution ein Darlehen in Höhe von 801,90 Euro gemäß § 22 Abs. 6 SGB II. Im Bescheid ist darauf hingewiesen, dass gemäß § 42 a Abs. 2 SGB II Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folge, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 v. H. des maßgeblichen Regelsatzes getilgt würden, solange der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beziehe. Bestandteil dieses Bescheides seien die Vereinbarungen im Darlehensvertrag und in der Abtretungserklärung vom 27. Juni 2013.
In diesem zwischen dem Kläger und dem Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag vom 27. Juni 2013 wird geregelt, dass der Kläger vom Beklagten ein Darlehen für die Zahlung einer Mietkaution an seinen Vermieter in Höhe von 801,90 Euro erhält. Das Darlehen wird gemäß § 42 a Abs. 2 SGB II, solange der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht, ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 v. H. des maßgeblichen Regelsatzes getilgt. Zur Sicherung der Ansprüche des Beklagten tritt der Kläger die dem Vermieter überwiesene, noch nicht getilgte, Mietkaution einschließlich der anfallenden Zinsen unwiderruflich ab.
Mit der Abtretungserklärung zum Darlehensvertrag ebenfalls vom 27. Juni 2013 erklärte der Kläger, dass er den Anspruch auf Rückzahlung sowie die auflaufenden Zinsen/Dividenden hiermit unwiderruflich an das Land Berlin, vertreten durch den Beklagten, zur Sicherung der Ansprüche aus dem Darlehensvertrag abtrete.
Mit Änderungsbescheid vom 27. Juni 2013 setzte der Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 6. Juni 2013 die Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. August 2013 bis 31. Oktober 2013 in Höhe von 768,80 Euro monatlich fest. Zugleich verfügte er, dass gemäß § 42 a Abs. 2 SGB II ab dem 1. August 2013 monatlich 38,20 Euro einbehalten und zur Tilgung der offenen Forderung bezüglich der Mietkaution an die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg überwiesen werden.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dieser Bescheid sei rechtswidrig, da er mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufrechne, ohne die Unbilligkeit dieser Verfahrensweise gemäß § 44 SGB II geprüft zu haben. Die Aufrechnung an sich sei zudem verfassungsrechtlich höchst bedenklich, da sie dem Kläger über einen Zeitraum von über einem Jahr einen nicht unerheblichen Betrag der Regelleistung entziehe. Völlig unberücksichtigt bleibe der Umstand, dass dem Beklagten ein Ermessen über die Regelung des § 22 Abs. 6 SGB II eröffnet sei, so dass zu prüfen wäre, ob für den Kläger in einer Maßnahme nach den §§ 67 ff. SGB XII, der sich in einer misslichen finanziellen Situation befinde, die Kaution, zumindest teilweise als Zuschuss zu gewähren ...