Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsgewährung an einen EU-Ausländer im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes. Leistungsausschluss bei Aufenthalt zur Arbeitssuche. Folgenabwägung. rückwirkende Leistungsgewährung
Orientierungssatz
1. Die Erlaubnis zur Aufnahme einer Beschäftigung für Ausländer gemäß § 8 Abs. 2 SGB 2 ist schon dann als gegeben anzunehmen, wenn eine abstrakt-generelle Möglichkeit zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis bzw. die Möglichkeit zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit besteht.
2. Die Regelung über den Leistungsausschluss für Ausländer, die sich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB 2 ist auf EU-Ausländer nicht ohne weiteres anwendbar (Anschluss LSG Berlin-Brandenburg, Beschluß vom 29. November 2010, L 34 AS 1001/10 B). Bei der Prüfung eines möglichen Anspruchs eines EU-Ausländers auf Leistungen nach dem SGB 2 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist deshalb eine Folgenabwägung vorzunehmen, die jedenfalls dann zugunsten des Antragstellers zu treffen ist, wenn das laufende Einkommen nicht zur Deckung des tatsächlichen Bedarfs ausreicht. Auf eine bestehende Rückkehrmöglichkeit in das Herkunftsland kommt es insoweit im Rahmen der Abwägung nicht an.
3. Im einstweiligen Rechtschutzverfahren über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB 2 fehlt es für Zeiträume vor Eingang des Antrags bei Gericht grundsätzlich an einem Anordnungsgrund.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. März 2011 geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig vom 17. Mai 2011 bis 31. Juli 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren.
Die Beschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat ein Drittel der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das einstweilige Rechtsschutzverfahren erster und zweiter Instanz zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 25. Februar 2011.
Der 1978 geborene Antragsteller zu 1) und die 1987 geborene Antragstellerin zu 2) sind nicht miteinander verheiratet und die Eltern der 2009 und 2010 geborenen Antragsteller 3) und 4). Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige, halten sich seit mindestens Mai 2010 in Deutschland auf (der Antragsteller zu 4) seit seiner Geburt und bewohnen die zum 1. Juli 2010 gemietete und im Rubrum bezeichnete Wohnung (2 Zimmer, Bad, Toilette, Küche, ca. 59,50 m² Wohnfläche, 300 EUR Miete, 70 EUR Betriebskostenvorauszahlung). Auf das Konto des Antragstellers zu 1) wird laufend das Kindergeld für die Antragsteller zu 3) und 4) in Höhe von monatlich 368 EUR gezahlt. Der Antragstellerin zu 2) wurde auf ihren Antrag vom 3. Februar 2011 Elterngeld in Höhe von monatlich 375 EUR gewährt. Am 14. April 2011 wurde dem Konto des Antragstellers zu 1) Elterngeld für drei Monate (Februar bis April 2011) gutgeschrieben. Das Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin hat den Antragstellern am 25. August 2010 bzw. 28. Januar 2011 Bescheinigungen gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) ausgestellt. Der Antragsteller zu 1) hat eine Gewerbeanmeldung vom 23. September 2010 über den Beginn einer Tätigkeit als „Bauhelfer“ am 22. September 2010 und eine Gewerbe-Ummeldung vom 12. November 2010 über die Neuausübung einer Tätigkeit „Abriss“, drei von ihm der Firma L gestellte Rechnungen vom 04. Dezember 2010 (Reinigung des zweiten Hinterhofs, pauschal 350 EUR), vom 20. Dezember 2010 (Glätten von Zementestrich, Auslegen von Folien, pauschal 450 EUR) und vom 15. Januar 2011 (Dämmung auslegen, pauschal 400 EUR) sowie drei Quittungen über Zahlungen der Firma L über 350 EUR am 22. Dezember 2010, 450 EUR am 22. Dezember 2010 und 400 EUR am 02. Februar 2011 vorgelegt.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2011 hat der Antragsgegner den Antrag der Antragsteller vom 04. Februar 2011 auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II abgelehnt mit der Begründung, dass diese nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgenommen seien. Angehörige des Staates Rumänien benötigten für die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit generell eine rechtsgültige Arbeitserlaubnis. Eine selbständige Tätigkeit dürfe ohne Beschränkung ausgeübt werden. Bei der vom Antragsteller zu 1) ausgeübten Tätigkeit handele es sich nicht um eine selbständige Tätigkeit. Der Antragsteller habe nach eigenen Angaben ausschließlich Einnahmen durch die Firma L erzielt. Gegen den Bescheid vom 18. Februar 2011 haben die Antragsteller Widerspruch eingelegt.
Den am 25. Februar 2011 bei dem Sozialgericht Berlin gestellten und auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts fortlaufend ...