Entscheidungsstichwort (Thema)

Brustformkorrektur zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur bei Entstellung. Brustformkorrektur. Operation eines funktionell intakten Organs. Krankheit. Körperliche Entstellung

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine körperliche Entstellung hat nur dann Krankheitswert i.S.v. § 27 SGB V, wenn sie ständig sichtbar ist und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erschwert. Es genügt nicht, dass sie nur bei bestimmten Situationen (etwa dem Besuch eines Schwimmbads) ins Auge fällt.

 

Orientierungssatz

1. Eine in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte kann von der Krankenkasse nicht die operative Korrektur ihrer Brüste beanspruchen, wenn die vermeintliche Krankheit in einer nur angedeuteten Hängebrust besteht. Ein solcher Anspruch besteht auch nicht, wenn die Versicherte geltend macht, die von ihr empfundene Normabweichung beeinträchtige ihr sexuelles Erleben.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist nicht jede körperliche Unregelmäßigkeit eine Krankheit nach §§ 12 Abs. 1, 27 Abs. 1 SGB 5. Eine Entstellung, die als Krankheit anzusehen wäre, besteht vielmehr erst , wenn die Versicherte objektiv an einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit leidet, dass dies ihre Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft gefährdet. Eine solche körperlichen Entstellung mit Krankheitswert muss ständig sichtbar sein und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erschweren; eine Frau mit den Beeinträchtigungen der Klägerin ist entgegen ihrer subjektiven Meinung nicht am Besuch eines Schwimmbades, sportlicher Betätigungen und dem Tragen sommerlicher Kleidung gehindert. Die empfundene Beeinträchtigung des sexuellen Erlebens rechtfertigt auch deswegen nicht eine Brustoperation, weil in ein funktionell intaktes Organ nur im äußersten Notfall eingegriffen werden darf, vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R.

 

Normenkette

SGB V § 27 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 1

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Kostenübernahme für eine beidseitige Brustformkorrektur.

Die bei der Beklagten versicherte, 1987 geborene Klägerin beantragte am 22. Mai 2008 die Kostenübernahme einer operativen Korrektur der tubulären Brust beidseits. Aufgrund einer angeborenen Anomalie bestehe seit Jahren ein psychischer Leidensdruck. Sie betrachte die Operation als für sich notwendig. Beigefügt war ein Befundbericht des Chefarztes Dr. B der H-Klinik B vom 12. Februar 2008, der eine tubuläre Mammae beidseits mit psychischem Leidensdruck diagnostizierte. Auffallend groß sei der Brustwarzenhof-Komplex mit deutlicher Hernienbildung von Drüsengewebe in der Areola. Es fehlten die beiden unteren Quadranten der Brüste.

Ihre behandelnde Fachärztin für Frauenheilkunde K verordnete am 26. Februar 2009 eine Krankenhausbehandlung "Missbildung der Brustdrüsen mit Beschwerden beidseits. Erbitte um operative Korrektur.". Beigefügt war eine Stellungnahme des Prof. Dr. B des S Krankenhauses B vom 27. Oktober 2008, der ebenfalls eine operative Korrektur empfohlen hatte.

Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK). Dessen Gutachterin L gelangte unter Auswertung der Befunde und der Fotodokumentation zu dem Ergebnis, dass die gesehene Ptose (Hängebrust) keinen Krankheitswert habe. Ein regelwidriger Körperzustand würde bei einer tubulären Brust einen ausgeprägten Befund mit Hernienbildung und Fehlen von Brustgewebe in mehreren Quadranten erfordern. Anhand der Fotos sei weder ein völliges Fehlen von Brustgewebe in mehreren Quadranten, noch eine Hernienbildung von Drüsengewebe in der Areola, die dazu führen würde, dass die vordere Partie der Brust Rüsselförmig über die hintere absinke, festzustellen. Die Beschaffenheit der Brustdrüsen der Klägerin stelle keine funktionelle Beeinträchtigung dar. Eine operative Korrektur der Brustform sei nicht zwingend medizinisch notwendig. Es handelte sich um einen kosmetischen Eingriff.

Die Klägerin widersprach dieser Einschätzung. Sie hätte durch jahrelanges Krafttraining und Fitness versucht, ihr Brustgewebe zu festigen. Da dies erfolglos geblieben sei, sehe sie in einem operativen Eingriff die letzte Möglichkeit.

Die Gutachterin L untersuchte die Klägerin am 29. April 2009 und führte in ihrem sozialmedizinischen Gutachten vom 27. Mai 2009 aus, es lägen normal große, stark ptotische (Ptose Typ III nach Vrebos), symmetrische Mammae mit angedeuteten tubulären Komponenten vor. Drüsengewebe sei in allen vier Quadranten angelegt. Eine Hernienbildung von Drüsengewebe in die Areola läge nicht vor. Eine Hernienbildung zwischen Areola und Brustdrüsenkörper, die dazu führe, dass die vordere Partie der Brust rüsselförmig über die hintere absinke, könne nicht bestätigt werden. Sie gelangte erneut zu dem Ergebnis, die gewünschte Brustformkorrektur folge ausschließl...

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