Entscheidungsstichwort (Thema)

Hilfsmittelversorgung. Ausschreibung. Vergabeverfahren. hoher Dienstleistungsanteil. Qualitätskriterien. aufsichtsrechtliche Verpflichtung. Ermessen der Aufsichtsbehörde. kartellvergaberechtliches Nachprüfungsverfahren. einstweiliger Rechtsschutz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nur dann, wenn bereits in der Leistungsbeschreibung Qualitätsanforderungen formuliert werden, die über die Mindestvoraussetzungen für jede Leistungserbringung im jeweiligen Hilfsmittelbereich (mehr als nur unwesentlich) hinausgehen, dürfen gemäß § 127 Abs. 1b Satz 4 SGB V der Preis oder die Kosten als Zuschlagskriterium mit mehr als 50 % gewichtet werden.

2. Aufsichtsrechtliche Maßnahmen nach § 87ff SGB IV werden durch kartellvergaberechtliche Nachprüfungsverfahren grundsätzlich nicht ausgeschlossen.

3. Zur Prüfung einer aufsichtsrechtlichen Anordnung, durch die eine Krankenkasse zur Aufhebung einer Ausschreibung nach § 127 SGB V verpflichtet werden soll, im einstweiligen Rechtsschutz.

 

Tenor

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2018 (L 9 KR 73/18 KL) anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500.000.- € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um eine aufsichtsrechtliche Maßnahme des Bundesversicherungsamtes (BVA) im Zusammenhang mit der Ausschreibung 0067-CPAP-2017 einer Krankenkasse (Antragstellerin).

Gegenstand dieser Ausschreibung ist “die Versorgung der anspruchsberechtigten Versicherten der [Antragstellerin] mit CPAP-Geräten und CPAP-Spezialgeräten (Produktgruppe 14) sowie der damit im Zusammenhang stehenden Dienst- und Serviceleistungen gemäß § 33 SGB V i.V.m. § 127 Abs. 1 SGB V„. Bei diesen Hilfsmitteln handelt es sich um Inhalations- und Atemtherapiegeräte zur Behandlung atembezogener Schlafstörungen mittels kontinuierlicher Überdruckbeatmung (Continuous Positive Airway Pressure = CPAP). Nach dem Ausschreibungstext soll der Zuschlag aufgrund der Kriterien Preis (90 %) und Qualität (10 %) erteilt werden. Innerhalb des Kriteriums Qualität sollen die Versicherung des Auftragnehmers (Bieters), keine Geräte, die älter als 4 Jahre sind, einzusetzen, mit 7 % und die Versicherung, eine kostenfreie Service-Telefonnummer 24-stündig zur Verfügung zu stellen, mit 3 % gewichtet werden. Die Ausschreibung, welche 19 Gebietslose umfasst und auf den Abschluss eines Rahmenvertrags mit einer Laufzeit von vier Jahren abzielt, wurde am 29. September 2017 veröffentlicht und sieht als Schlusstermin für den Eingang der Angebote oder Teilnahmeanträge sowie als Eröffnungstermin der Angebote den 24. November 2017 vor; die Bindungswirkung für die Angebote bestand bis zum 22. Dezember 2017. Die Antragstellerin geht von einem Auftragswert von mindestens 20.000.000.- € aus.

Ausgelöst durch ein Schreiben einer Anwaltskanzlei, die im Auftrag eines Leistungserbringers tätig wurde, erläuterte das BVA erstmals am 23. Oktober 2017 der Antragstellerin, dass es die Ausschreibung für rechtswidrig halte. In der Folgezeit, u.a. mit Schreiben vom 9. und 24. November 2017, legte es der Antragstellerin die Gründe für diese Einschätzung dar und nahm eine “aufsichtsrechtliche Beratung der […]-kasse nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV und Anhörung zur Anordnung des Sofortvollzugs„ vor (Schreiben vom 11. Dezember 2017). Hierzu nahm die Antragstellerin wiederholt Stellung, u.a. mit den Schreiben vom 4. Dezember 2017, hielt aber weiterhin an der geplanten Vergabeentscheidung fest.

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2017, per Fax zugestellt am selben Tag, nahm das BVA der Antragstellerin gegenüber eine aufsichtsrechtliche Beratung nach § 89 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch / Viertes Buch (SGB IV) vor und hörte sie zugleich zur beabsichtigten Anordnung des Sofortvollzugs (eines noch zu erlassenden Bescheids) an. Darin vertrat das BVA die Auffassung, durch die rechtswidrige o.g. Ausschreibung greife die Antragstellerin in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen ihrer Versicherten ein. Es forderte die Antragstellerin daher auf, bis zum 15. Dezember 2017 - diese Frist wurde später bis zum 15. Januar 2018 verlängert - zu bestätigen, dass sie die Ausschreibung aufhebe. Andernfalls beabsichtige das BVA, einen Verpflichtungsbescheid zu erlassen, der inhaltlich dem Beratungsschreiben entspreche. Die Antragstellerin teilte dem BVA daraufhin mit, dass die Ausschreibung rechtlich nicht zu beanstanden sei (Schreiben vom 15. Januar 2018).

Mit Bescheid vom 25. Februar 2018, zugestellt am 28. Februar 2018, verpflichtete das BVA die Antragstellerin, ihre o.g. Ausschreibung aufzuheben (Tenor I) und ordnete die sofortige Vollziehung dieses Bescheides an (Tenor II).

Zur Begründung führte das BVA aus, dass sich die Rechtswidrigkeit der Ausschreibung bereits daraus ergebe, dass diese aufgrund des hohen Dienstleistungsanteils unzweckmäßig und die Ermessensentscheidung der Antragstellerin zugunsten einer Ausschreibung rechtswidrig sei. Es handele si...

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