Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtschutz gegen eine aufsichtsrechtliche Maßnahme im Zusammenhang mit der Ausschreibung zur Versorgung von Versicherten mit medizinischen Hilfsmitteln

 

Orientierungssatz

1. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn bei summarischer Prüfung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht.

2. Nach § 89 Abs. 1 S. 1 SGB 4 steht der Aufsichtsbehörde ein Recht zum Eingreifen dann zu, wenn das Handeln oder Unterlassen eines ihrem Aufsichtsrecht unterliegenden Versicherungsträgers das Recht verletzt.

3. Die von § 127 Abs. 1 S. 6 SGB 5 bei der Ausschreibung und Vergabe von medizinischen Hilfsmitteln zur Versorgung der Versicherten durch die Krankenkasse vorgesehene Zweckmäßigkeitserwägung hat im Vorfeld der Bewilligungsentscheidung in einem internen Beschaffungsbeschluss bei dem Versicherungsträger stattzufinden. Dem Mitbewerber steht hinsichtlich einer Rüge des Ausschreibungsverfahrens keine Antragsbefugnis zu.

4. Die Zweckmäßigkeitsprüfung der Krankenkasse ist primär sozialrechtlicher bzw. gesundheitspolitischer Natur. Eine wettbewerbliche Komponente i. S. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist ihr nicht immanent.

5. Bei der Wahrnehmung ihrer Befugnisse hat die Aufsichtsbehörde den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Dem Versicherungsträger gebührt eine Einschätzungsprärogative, die das Aufsichtsamt im Rahmen seines Entschließungsermessens berücksichtigen muss.

6. Bewegt sich die getroffene Entscheidung, die fragliche Hilfsmittelversorgung durch eine Ausschreibung nach § 127 Abs. 1 SGB 5 sicherzustellen, noch im Bereich des rechtlich Vertretbaren, so ist eine Rechtswidrigkeit der erstrebten Ausschreibung nach dem Maßstab von § 89 Abs. 1 SGB 4 nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen.

 

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 22. März 2018 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. März 2018 wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zum Aktenzeichen L1 KR 35/18 KL angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500.000,- € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um eine unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ergangene aufsichtsrechtliche Maßnahme der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Ausschreibung 2017/S 213-442130 zur Versorgung von Versicherten der Antragstellerin mit medizinischen Hilfsmitteln der Produktgruppe 29 im Kontext der Versorgung eines Stomas sowie ergänzend Inkontinenzhilfen der Produktgruppe 15 zur ergänzenden Versorgung von Urostomaanlagen und bei dieser Versorgung anfallenden Dienstleistungen.

Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Im November 2017 erfuhr die Antragsgegnerin durch verschiedene Anfragen - unter anderem eines Mitglieds des Deutschen Bundestages und des Bundesministeriums für Gesundheit - über die von der Antragstellerin veranlasste europaweite Ausschreibung mit dem Titel “Versorgung mit Stomaartikeln der Produktartgruppe 29 und den gegebenenfalls in diesem Zusammenhang notwendigen Inkontinenzhilfen der Produktgruppe 15 gemäß § 127 Abs. 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V)“.

Die Antragsgegnerin wandte sich daraufhin an die Antragstellerin und bat sie um Übersendung der der Ausschreibung zugrunde liegenden Unterlagen, um die Rechtmäßigkeit der Ausschreibung mit Blick auf die Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - SGB V - zu prüfen. Dem kam die Antragstellerin nach und übersandte die Ausschreibungsunterlagen denen auch die 29 Seiten umfassende Leistungsbeschreibung als Anlage beigefügt war. In der Leistungsbeschreibung wird detailliert beschrieben, welche Leistungen die Bieter auch in qualitativer Hinsicht zu erbringen haben. Als Leistungsgegenstand wird die Versorgung der Versicherten mit Stomaartikeln der Produktgruppe 29 und ergänzend Inkontinenzhilfen der Produktgruppe 15 zur ergänzenden Versorgung des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 SGB V sowie das Zubehör, die notwendigen Reparaturen und Ersatzteile sowie der kostenlose Produktersatz, die notwendigen Wartungen und sicherheitstechnischen Kontrollen sowie die in diesem Zusammenhang zu erbringenden Dienst und Serviceleistungen im Wege von monatlichen Vergütungspauschalen genannt. Sogenannte Altverträge bleiben von der Ausschreibung unberührt solange der Altvertrag gilt. Unter anderem fordert die Ausschreibung von den Bietern für eine qualitätsorientierte Versorgung in hinreichender Anzahl den Einsatz von fachlich qualifiziertem Personal und Pflegeexperten Stoma, Kontinenz und Wunde, wie sich dem der Ausschreibung beigefügten Rahmenvertrag Stomaartikel unter § 4 Nr. 7 entnehmen lässt, vorzusehen. Zusammengefasst verpflichtet sich der Auftragnehmer die Versicherten über die Handhabung und Pflege des Hilfsmittels zu beraten, zu informieren und in den sachgerechten Gebrauch...

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