Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Anrechnung von Verletztenrente auf eine Altersrente
Orientierungssatz
Die Anwendung des - abgesenkten - Anrechnungsbetrages nach Maßgabe von § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI (juris: SGB 6) in der vom 1. Januar 1992 bis 30. Juni 2011 geltenden Fassung (aF) begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Zugunstenverfahren, ob bei der Anrechnung der Verletztenrente des Klägers auf die von der Beklagten gewährte Altersrente (AR) aus der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) ein abgesenkter Freibetrag in Höhe einer "Grundrente Ost" zu berücksichtigen ist.
Der 1928 geborene Kläger bezog seit Oktober 1982 eine Unfallteilrente aus der Sozialversicherung der DDR. Diese wurde ab 1. Januar 1992 als Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) weitergezahlt.
Der Kläger bezieht seit 1. Januar 1993 AR für langjährig Versicherte (Bescheide vom 29. September 1994, 15. August 1996, 29. August 1996 und 10. Februar 1998). Dabei - und in der Folgezeit - rechnete die Beklagte auf die AR die vom Kläger bezogene Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) an. Von der Anrechnung ausgenommen wurde ein Freibetrag in Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Da der Kläger am 18. Mai 1990 seinen Wohnsitz im Gebiet der neuen Bundesländer hatte, berücksichtigte die Beklagte diesen Freibetrag in Höhe der für das Beitrittsgebiet abgesenkten Grundrentensätze.
Im August 2003 stellte der Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. April 2003 (B 4 RA 32/02 R = SozR 4-2600 § 93 Nr 2) einen Überprüfungsantrag für die Zeit ab Januar 1999. Diesen lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 26. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2005), weil ihre bisherige Verfahrensweise korrekt gewesen sei; die Rentenversicherungsträger folgten der Auffassung des BSG nicht.
Die auf die Verurteilung zur Gewährung einer AR unter Anrechnung einer Unfallrente unter Zugrundelegung des Freibetrages (West) zielende Klage hat das Sozialgericht Berlin (SG) mit Urteil vom 4. Juli 2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 29. August 1996 nach § 44 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) hinsichtlich der Anrechnung der Verletztenrente bestehe nicht. Die Beklagte habe den Anrechnungsbetrag gemäß § 93 Abs 2 Nr. 2a Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) in zutreffender Höhe festgestellt. Insbesondere sei der Freibetrag nach der Neufassung dieser Bestimmung durch das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (vom 21. Juli 2004, BGBl I 1791 - RV-Nachhaltigkeitsgesetz ≪RVNG≫) nach der Grundrente aus §31 BVG iVm § 84a Satz 1 und 2 BVG errechnet worden. Mit dieser Neufassung sei klargestellt, dass bei der Ermittlung des Freibetrags der § 84a Satz 1 und 2 BVG zu berücksichtigen sei. Dieser bestimme, dass für Berechtigte, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz in den neuen Bundesländern hatten, die für dieses Gebiet nach dem Einigungsvertrag (EV) geltenden Maßgaben zu berücksichtigen seien. Nach Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1a EV sei daher eine Minderung der Grundrente des § 31 BVG entsprechend den dortigen Maßgaben vorzunehmen. Entsprechend der nunmehr eindeutigen gesetzlichen Regelung könne die hiervon abweichende Auslegung durch das BSG nicht mehr herangezogen werden. Diese Neufassung begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil eine Änderung des Gesetzestextes im Wege einer authentischen Interpretation auch Rückwirkung entfalten könne, wenn der Gesetzgeber durch eine eigene nachträgliche Interpretation seiner selbst anordne, wie die schon bisher bestehenden gesetzlichen Bestimmungen von Anfang an zu verstehen seien. Um einen solchen Fall handele es sich bei der Neufassung durch das RVNG. Da die Klarstellung unmittelbar nach Ergehen der Urteile des BSG eingeleitet worden sei und die Verwaltungspraxis von Anfang an der jetzt erfolgten Klarstellung entsprochen habe, würden Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht berührt. Die damit verbundene Ungleichbehandlung sei auch nicht willkürlich, sondern durch die unterschiedlichen Lebensverhältnisse gerechtfertigt. Die Freibetragsregelung berücksichtige nicht allein immaterielle Schäden, sondern auch behinderungsbedingte Mehraufwendungen. Außerdem würde angesichts des im Osten niedrigeren Rentenniveaus der immaterielle Schadensanteil anderenfalls überbewertet. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. März 2000 (BVerfGE 102, 41) betreffe nur Kriegsopfer, mit welchen die Gruppe der Verletztenrentner nich...