Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Gewährung von Prozesskostenhilfe. Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht im Verfahren über Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung
Orientierungssatz
Für die Annahme einer für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung genügt es, wenn der Sachverhalt erst noch durch Beweiserhebung aufgeklärt werden muss und jedenfalls bei Zugrundelegung des klägerischen Vortrags von einem zumindest vertretbaren Rechtsstandpunkt auszugehen ist. Hinreichende Erfolgsaussicht in diesem Sinne besteht deshalb bei einem Rechtsstreit über Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung, wenn über den Umfang der Pflegebedürftigkeit Beweis zu erheben sein wird.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. Mai 2011 aufgehoben.
Dem Kläger wird für das Klageverfahren erster Instanz mit Wirkung vom 6. Dezember 2010 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten gewährt.
Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu leisten.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet, denn das Sozialgericht hat zu Unrecht gemäß §§ 73 a SGG, 114 Zivilprozessordnung (ZPO) die hinreichende Erfolgsaussicht des Prozesskostenhilfegesuchs des Klägers verneint.
Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform auszulegen. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gebietet in Verbindung mit dem u. a. in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebrachten Rechtsstaatsprinzip und dem aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes eine weitergehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Hierbei braucht der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf die Prüfung der Erfolgsaussichten jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe eben dieses Nebenverfahren an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 28. November 2007, 1 BvR 68/07). Deshalb dürfen insbesondere schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden werden, sondern müssen über die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung im Hauptsacheverfahren zugeführt werden können (Bundesverfassungsgericht, a.a.O., und Kammerbeschluss vom 4. Juli 1993, 1 BvR 1523/92). Demnach ist ausgehend von dem für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag eine hinreichende Erfolgsaussicht bereits dann gegeben, wenn das Gericht den klägerischen Rechtsstandpunkt aufgrund eines geklärten Sachverhalts für zutreffend oder für zumindest vertretbar und klärungsbedürftig hält.
Nach diesen Maßstäben war zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der erstmaligen Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags am 6. Dezember 2010 (vollständige Einreichung der Unterlagen zu der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) die hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu verneinen, da der Sachverhalt nicht aufgeklärt gewesen ist. Das im Verwaltungsverfahren eingeholte MDK-Gutachten vom 15. August 2009 ist allein nicht geeignet, eine gerichtliche Entscheidung zu tragen, denn angesichts des geringen Alters des 2005 geborenen Klägers ist es nicht ausgeschlossen, dass sich innerhalb eines Jahres die Pflegebedürftigkeit maßgeblich geändert hat. Dies hat das Sozialgericht offenbar auch so gesehen, da es im weiteren Verfahren Beweis durch Einholung von Befundberichten erhoben hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Fundstellen