Entscheidungsstichwort (Thema)
Übernahme der Unterkunftskosten bei teilweiser gewerblicher Nutzung durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Leistungen nach § 22 SGB 2 erfassen lediglich solche zur Sicherung des Lebensunterhalts für Unterkunft und Heizung. Werden angemietete Räumlichkeiten auch als Gewerberaum genutzt, so sind Kosten dieser gewerblichen Nutzung nicht zu übernehmen.
2. Kosten der gewerblichen Nutzung von Wohnraum können im Rahmen der Eingliederung des Hilfebedürftigen nach § 16 SGB 2 übernommen werden. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Eingliederungsleistung nach dieser Vorschrift ist maßgeblich, ob ein Eingliederungserfolg mit hinreichender Sicherheit vorhergesagt werden kann.
3. Bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ist eine Folgenabwägung anzustellen. Dabei ist der etwaige Schaden des Leistungsträgers bei erfolgloser Eingliederung der grundgesetzlichen Gewährleistung der Existenzsicherung des Antragstellers gegenüberzustellen. Gfs. kann die Leistungsgewährung für einen begrenzten Zeitraum ausgesprochen werden. Dabei gilt ein solcher von drei Monaten als angemessene Frist für eine Entscheidung über einen Widerspruch.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. Mai 2007 geändert.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig, ab Zustellung dieses Beschlusses bis zum 30. September 2007, längstens jedoch bis zur Zustellung der Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1. März 2007, weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 392,53 €, für Juni 2007 jeweils anteilig für die verbleibenden Tage vom Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses an, zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Die gemäß § 172 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragsteller, der das Sozialgericht Berlin nicht abgeholfen hat, ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Einer Entscheidung des Senats steht zunächst einmal nicht eine bestandskräftige Entscheidung des Antragsgegners über den streitbefangenen Anspruch entgegen. Soweit der Antragsgegner vorträgt, dass der Bewilligungsbescheid vom 1. März 2007, mit dem er den in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Bewilligungsabschnitt vom 1. April 2007 bis zum 30. September 2007 in Höhe von monatlich 613,10 € bewilligt und hierbei lediglich monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 444,- € anerkannt hat, bestandskräftig geworden ist, trifft dies nicht zu. Denn ausweislich der Verwaltungsakte des Antragsgegners hat der Antragsteller zu 1) am 20. März 2007 persönlich bei dem Antragsgegner vorgesprochen und sich wegen der “Reduzierung der Kosten der KdU ab 3/07„ beschwert. Dies kann bei sachdienlicher und vernünftiger Auslegung des Vorbringens nur als Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1. März 2007 verstanden werden.
Für die Gewährung von Leistungen für vor dem Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren liegende Zeiträume fehlt es allerdings an einem nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde.
In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫, 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage...