Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigungszeit wegen nicht erwerbsmäßiger Pflege. Versäumung der Antragsfrist. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Berücksichtigungszeit. Pflege. Antragsfrist. Herstellungsanspruch

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger oder ein anderes Organ oder anderer Leistungsträger (sofern dieser mit der Erfüllung der Pflicht für den Sozialleistungsträger beauftragt gewesen ist) eine sich aus dem jeweiligen Sozialrechtsverhältnis ergebende gerade gegenüber dem versicherten obliegende Pflicht objektiv rechtswidrig nicht oder schlecht erfüllt und die Pflichtverletzung letztlich zumindest gleichwertig einen dem Sozialleistungsträger zurechenbaren sozialrechtlichen Nachteil verursacht hat.

2. Liegen die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch vor, so ist grundsätzlich und – soweit notwendig sowie rechtlich und tatsächlich möglich – der Zustand wieder herzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre und der Sozialleistungsträger sich rechtmäßig verhalten hätte.

3. Es besteht keine Pflicht zur Beratung oder Auskunft ( §§ 14, 15 SGB I) von Amts wegen (sog. Spontanberatung), wenn der Versicherungsträger mangels Kontakt mit dem Versicherten vor Rentenantragstellung keine Kenntnis davon hatte, dass dieser Pflegetätigkeiten ausführte.

 

Normenkette

SGB VI § 249b; SGB I §§ 13-15

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2007 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zu gelassen.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Gewährung einer höheren Regelaltersrente für die verstorbene Ehefrau des Klägers.

Aus der Ehe des Klägers mit der 1940 geborenen und 2006 verstorbenen Versicherten sind ein 1975 sowie ein am 1980 geborener Sohn hervorgegangen. Der 1975 geborene Sohn leidet seit dem Alter von sechs Monaten an einem psychophysischen Entwicklungsrückstand. Seit dem 02. Mai 1995 ist er als Schwerbehinderter anerkannt, zunächst mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50, seit Juli 2000 mit einem GdB von 80. Er wurde verspätet im September 1983 im Rahmen des Integrationsmodells in der F-Grundschule in B-S eingeschult. Im Herbst 1989 wechselte er auf die C-Schule für Lernbehinderte in B-W und schloss diese 1993 mit dem Sonderschulabschluss ab. Anschließend besuchte er die P-L-Schule (Oberstufenzentrum Agrarwirtschaft) und verließ diese 1995 mit dem Hauptschulabschluss. Danach ging er - gefördert durch das Arbeitsamt - in das Bildungszentrum B, zunächst im Bereich Holz, dann im Sektor Gartenbau. Parallel dazu besuchte er die entsprechenden Berufsschulklassen zunächst des Oberstufenzentrums Feinwerk- und Gerätetechnik N, später der A-L-Oberschule. Seit dem Spätsommer 1998 ist er bei den M-Werkstätten für Behinderte g GmbH beschäftigt, zunächst im Wege des Arbeitstrainings, seit dem 01. Juni 2000 als regulärer Beschäftigter.

Vom Frühherbst 1988 bis 1991 absolvierte er eine Psychotherapie, für die das Bezirksamt C von B die Kosten trug. Die Kostenübernahme lief zum 12. Juni 1991 aus. Seit dem 01. November 2005 ist das Vorliegen der Pflegestufe I anerkannt.

Auf den Rentenantrag der Versicherten vom 11. Oktober 2004, in welchem sie unter anderem den Zeitraum vom 02. Januar 1992 bis zum 13. August 1993 unter Herreichung zahlreicher Unterlagen betreffend die Behinderung ihres 1975 geborenen Sohnes als Zeit der nicht erwerbsmäßigen Pflege ihres Sohnes geltend machte, gewährte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 17. Dezember 2004 ab dem 01. Februar 2005 Regelaltersrente in Höhe von monatlich brutto 476,37 Euro. Aus der Anlage 10 zum Bescheid ging hervor, dass die Zeit vom 01. Januar 1992 bis zum 13. August 1993 nicht als Berücksichtigungszeit wegen Pflege anerkannt wurde, weil der Antrag nicht rechtzeitig gestellt worden sei.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2005 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, Berücksichtigungszeiten wegen Pflege seien auf Antrag Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege, für die regelmäßig wöchentlich mindestens 10 Stunden aufgewendet worden seien. Berücksichtigungszeiten wegen Pflege hätten frühestens ab dem 01. Januar 1992 und längstens bis zum 31. März 1995 angerechnet werden können. Die Berücksichtigungszeiten hätten grundsätzlich mit Beginn der Aufnahme der Pflegetätigkeit anerkannt werden können, wenn der Antrag bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach Aufnahme der Pflegetätigkeit gestellt worden sei. Bei einer späteren Antragstellung seien die Berücksichtigungszeiten erst vom Antragsmonat an anzurechnen gewesen. Die mit dem Rentenantrag vom 11. Juli 2004 geltend gemachten Berücksichtigungszeiten wegen Pflege könnten deshalb nicht anerkannt werden.

Zum 01. Januar 2002 sei die Berücksichtigung von Kinderpflegezeiten eingeführt worden. Hierbei handele es sich um nach dem 31. Dezember 1991 liegende Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pf...

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