Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Voraussetzungen der Bewilligung von einstweiligem Rechtschutz gegen die sofortige Vollziehung eines Beitragsbescheides
Orientierungssatz
1. Zur Bewilligung von einstweiligem Rechtschutz gegen die sofortige Vollziehung eines Beitragsbescheides des Versicherungsträgers nach §§ 86b Abs 1 S 1 Nr 2, 86a Abs 2 Nr 1 SGG ist entweder erforderlich, dass ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides bestehen oder die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
2. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsnachforderung für den Schuldner verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zur Annahme einer unbilligen Härte.
3. Eine solche ist nur dann anzunehmen, wenn es dem Beitragsschuldner gelingt, glaubhaft zu machen, dass die Beitreibung der Forderung aktuell die Insolvenz und/oder Zerschlagung seines Geschäftsbetriebs zur Folge hätte, die Durchsetzbarkeit der Forderung bei einem Abwarten der Hauptsache aber zumindest nicht weiter gefährdet wäre als zurzeit.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 22. September 2021 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, welche ihre Kosten selbst trägt.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 147.475,58 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 22. September 2021, in dem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 15. Dezember 2020 gegen den Nachtragsbeitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 24. November 2020 und den diesem beigefügten Änderungsbescheiden vom 23. November 2020 betreffend die Beiträge zur Berufsgenossenschaft und zum arbeits- und sicherheitstechnischen Dienst (ASD) jeweils für die Jahre 2015, 2016 und 2017 in der Fassung der das Beitragsjahr 2016 betreffenden Änderungsbescheide vom 18. August 2021 sowie des Widerspruchs vom 26. April 2021 gegen den Bescheid vom 21. April 2021 betreffend die Festsetzung von Säumniszuschlägen für den Monat Dezember 2020 in Höhe von 5.650,- € abgelehnt worden ist, ist gemäß §§ 172 Abs. 1,173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.
Nach § 86b Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Vorliegend kommt dem Widerspruch der Antragstellerin vom 15. Dezember 2020 gegen den Nachtragsbeitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 24. November 2020 und den diesem beigefügten Änderungsbescheiden vom 23. November 2020 betreffend die Beiträge zur Berufsgenossenschaft und zum ASD jeweils für die Jahre 2015, 2016 und 2017 in der Fassung der das Beitragsjahr 2016 betreffenden Änderungsbescheide vom 18. August 2021, in denen Beiträge in Höhe von insgesamt 584.252,35 € nachträglich erhoben worden sind, sowie dem Widerspruch der Antragstellerin vom 26. April 2021 gegen den Bescheid vom 21. April 2021, soweit darin Säumniszuschläge für den Monat Dezember 2020 in Höhe von 5.650,- € festgesetzt worden sind, entgegen § 86a Absatz 1 Satz 1 SGG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zu, weil nach § 86a Absatz 2 Nr. 1 SGG die aufschiebende Wirkung bei der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten entfällt.
Voraussetzung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht nach § 86b Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist in den Fällen des § 86a Absatz 2 Nr. 1 SGG, dass das Interesse des durch den Verwaltungsakt Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das kraft Gesetzes als vorrangig angesehene öffentliche Interesse am Vollzug des Bescheides überwiegt (vgl. zum Ganzen: Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn.12b und c, m.w.N.). Grundsätzlich besteht bei der Prüfung von § 86b Abs. 1 SGG ein Regel-Ausnahme-Verhältnis im Sinne eines Suspensiveffektes mit der Folge, dass im Zweifel das Vollziehungsinteresse den Vorrang hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch einen Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss daher eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (vgl. Keller, a.a.O., § 86b Rn. 12a, 12c und 12e m.w.N.). In den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG sind zudem die Kriterien des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu beachten (vgl. Landessozialgericht ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Mai 2012 - L 8 R 164/12 B ER -, juris; Keller, a.a.O., § 86b Rn. 12f; jeweils m.w.N.). Somit ist zu prüfen, ob ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte z...