Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einstweiliger Rechtsschutz. Leistungen für die Vergangenheit. Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses für Ausländer. Keine Vorlagepflicht im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz an EuGH. Keine Verpflichtung der Behörde zur vorläufigen Bewilligung bei Vorliegen endgültiger Entscheidung der Verwaltung über Leistungsanspruch

 

Orientierungssatz

1. Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II für die Vergangenheit können regelmäßig nicht im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens anerkannt werden. Etwas anderes gilt dann, wenn die sofortige Verfügbarkeit von für zurückliegende Zeiträume zu zahlenden Hilfen zur Abwendung eines gegenwärtig drohenden Nachteils erforderlich ist.

2. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ist nicht europarechtswidrig, vgl. Vorlagebeschluss des BSG vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 9/13 R, EuGH C-67/14.

3. Eine Vorlagepflicht an den EuGH im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes ist nicht gegeben, da Art. 267 Abs. 3 AEUV auf Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz nicht anwendbar ist.

4. Eine Verpflichtung der Verwaltung zur vorläufigen Leistungsbewilligung nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 S. 1 SGB III besteht nicht, wenn über den Leistungsanspruch bereits endgültig entschieden wurde.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2014 aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin - Brandenburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt S L, B Straße, B beigeordnet.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1966 geborene Antragsteller ist britischer Staatsbürger und hält sich nach seinen eigenen Angaben in Berlin seit dem 11. Dezember 2013 zur Arbeitsuche auf.

Am 19. Dezember 2013 hat der Antragsteller bei dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt. Diesen Antrag hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 30. Dezember 2013 unter Hinweis auf den Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II abgelehnt.

Am 31. Dezember 2013 hat daraufhin der Antragsteller bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Der Leistungsausschluss gemäß § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II sei europarechtswidrig.

Mit Beschluss vom 20. Februar 2014 hat das Sozialgericht Berlin den Antragsgegner zur Gewährung von Leistungen für den Zeitraum vom 11. März 2014 bis zum bis zum 31. Juli 2014 in monatlicher Höhe von 332,35 Euro verpflichtet und im Übrigen den Antrag abgelehnt. Es habe nach einer Folgenabwägung eine vorläufige Leistungsgewährung zu erfolgen, weil höchstrichterlich nicht geklärt sei, ob der Leistungsausschluss des § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform sei.

Gegen diesen dem Antragsgegner am 25. Februar 2014 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg am gleichen Tag Beschwerde eingelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners (Behelfsakte- ) Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, jedoch unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO). Auch im Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (OVG Hamburg, NVwZ 1990, 975).

Für den Zeitraum bis zur Entscheidung des erkennenden Senates ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Derartige Ansprüche für die Vergangenheit können regelmäßig nicht im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens an...

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