Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12. EuFürsAbk. erlaubter Aufenthalt. summarische Prüfung. Leistungen zur Überwindung einer besonderen Härte nach § 23 Abs 3 S 6 SGB 12

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unionsbürger*innen, die

- zugleich Staatsangehörige eines Signatarstaats des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA; juris: EuFürsAbk) und

- wegen der Art ihres materiellen Freizügigkeitsrechts oder des Fehlens eines materiellen Freizügigkeitsrechts von Leistungen zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Sozialhilfe ausgeschlossen (§§ 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II, 23 Abs 3 S 1 SGB XII idF ab 29.12.2016) sind,

können aufgrund der Inländergleichstellung des EFA einen Anordnungsanspruch auf einstweilige Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt aus der Sozialhilfe haben.

Dies gilt jedenfalls solange, wie es nicht zu einer vollziehbaren Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts durch die zuständige Ausländerbehörde gekommen ist.

2. Die endgültige Meinungsbildung eines Gerichts zu nicht einfach zu beantwortenden Rechtsfragen bleibt grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

3. Zur Gewährung von Sozialhilfe zur Überwindung einer besonderer Härte (§ 23 Abs 3 S 6 SGB XII idF ab 29.12.2016) bei schulpflichtigen Minderjährigen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. März 2017 geändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin zu 1) für den Monat März 2017 einen Betrag von 59,25 € und für den Monat April 2017 von 207,71 € und den Antragstellern zu 2) und 3) für den Monat März 2017 jeweils einen Betrag von 59,24 € und für den Monat April 2017 von 207,70 € zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes zurückgewiesen.

Den Antragstellern wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt M K, B, beigeordnet.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge.

Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt M K, B, beigeordnet. Im Übrigen ist Prozesskostenhilfe nicht zu gewähren.

 

Gründe

I.

Die Antragsteller sind Staatsbürger des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland. Sie halten sich seit Juli 2015 in Deutschland auf. Die 1964 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der beiden 2002 geborenen Antragsteller zu 2) und 3). Die Antragstellerin zu 1) ist in Deutschland bisher keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und erhält für die Antragsteller zu 2) und 3) seit Juli 2015 Kindergeld in gesetzlicher Höhe (Bescheid der Familienkasse Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit vom 7. Oktober 2015). Die Antragsteller zu 2) und 3) besuchen eine allgemeinbildende Schule. Sie bewohnen eine Wohnung, für die eine Monatsmiete von 623,11 € einschließlich Betriebskosten-Vorauszahlungen anfällt.

Vater der Antragsteller zu 2) und 3) ist der 1964 geborene H S A M G, der ebenfalls britischer Staatsangehöriger ist. Die Antragstellerin und der Kindesvater waren verheiratet. Der Kindesvater hat erneut geheiratet und verfügt seit dem 21. Mai 2015 über eine von der Stadt H befristet bis zum 20. Mai 2018 erteilte Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG; Familiennachzug als Ehegatte einer Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet). Seine derzeitige Wohnanschrift ist H Straße B.

Das beigeladene Jobcenter hatte durch Bescheid vom 13. Juni 2016 den Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II) vom 26. Mai 2016 abgelehnt. Ansprüche bestünden nicht, weil die Antragstellerin zu 1) ein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche besitze. Gegen diesen Bescheid ist nach erfolglosem Widerspruchsverfahren ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin anhängig (Az. S 121 AS 14067/16).

Den im Juni 2016 bei ihm gestellten Antrag auf Gewährung von Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII) lehnte der Antragsgegner ebenfalls ab (Bescheid vom 17. August 2016, Widerspruch ist eingelegt).

In zwei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erwirkten die Antragsteller eine Verpflichtung des Antragsgegners auf vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Zeitraum 21. Juli bis 30. September 2016: Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. September 2016 - S 195 SO 1086/16 ER -, Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen durch Beschluss des Senats vom 21. September 2016 - L 15 SO 244/16 B ER -; für den ans...

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