Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. hinreichende Erfolgsaussicht. Bewilligungsreife. klärungsbedürftiger Sachverhalt. Ermittlungen des Gerichts. Entscheidung über Prozesskostenhilfeantrag erst nach Sachentscheidung. Gebot einer zügigen Entscheidung. Rechtsschutzgleichheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die für die Gewährung von Prozesskostenhilfe in einem sozialgerichtlichen Verfahren erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels ist schon dann gegeben, wenn im Zeitpunkt der Bewilligungsfähigkeit des PKH-Antrags der entscheidungserhebliche Sachverhalt in der Hauptsache noch klärungsbedürftig ist und dazu durch das Gericht Ermittlungen angestellt werden.

2. Zum Gebot zügiger Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2019 aufgehoben.

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für den Rechtsstreit S 208 KR 4208/15 vor dem Sozialgericht Berlin unter Beiordnung ihrer o.g. Prozessbevollmächtigten ohne Festsetzung von Ratenzahlungen gewährt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2019, mit dem dieses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die am 14. Dezember 2015 erhobene Klage abgelehnt hat, ist gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowie §§ 172 und 173 SGG zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten für den Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Berlin. Ihre Rechtsverfolgung bot zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife ihres Prozesskostenhilfeantrages eine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Rechtssinne.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe in sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der ZPO entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO). Dabei hat das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes zu beurteilen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) soll die Prüfung der Erfolgsaussicht im Rahmen des § 114 ZPO nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern. Dieses darf nicht an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten, weil das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz fordert, nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen soll (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, zitiert nach juris, sowie BVerfGE 81, 347,357). Im Hinblick auf die fehlende Aussicht einer Klage auf Erfolg darf Prozesskostenhilfe nur verweigert werden, wenn die Klage (bei summarischer Prüfung) völlig aussichtslos ist oder ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine Entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2005, 1 BvR 175/05 sowie Beschluss vom 4. September 2017, 1 BvR 2443/16; LSG Berlin-Brandenburg, 1. Senat, Beschluss vom 10. März 2006, L 1 B 1150/05 KR PKH, jeweils zitiert nach juris; zu den Anforderungen an eine zügige Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2003, 1 BvR 901/03 [„gewisse Eilbedürftigkeit“]).

Kommen eine weitere Aufklärung oder eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass richterliche Aufklärungsmaßnahmen oder eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers oder Antragstellers ausgehen würden, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, zitiert nach juris; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 12. November 2014, L 9 AS 499/14 B PKH, bei juris).

Danach stand der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch das Sozialgericht eine fehlende Erfolgsaussicht der erhobenen Klage schon deshalb nicht entgegen, weil das Sozialgericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt (zu Recht) für klärungsbedürftig hielt und selbst noch in der Sache ermittelt hat, als der Prozesskostenhilfeantrag bereits seit Langem bewilligungsreif war.

Bewilligungsreif war der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe schon bei Klageerhebung am 14....

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