Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Anspruch erwerbsfähiger Unionsbürger auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Prüfungsmaßstab im einstweiligen Rechtsschutz. Prüfung der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses von Unionsbürgern für Ansprüche nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Beiladung des Sozialhilfeträgers im Rechtsstreit gegen Träger der Grundsicherung
Orientierungssatz
1. Anders als in Verfahren nach § 86b Abs. 1 SGG, bei denen ggf. eine Entscheidung aufgrund einer Interessenabwägung zu treffen ist, sind die Gerichte im Rahmen des § 86b Abs. 2 SGG grundsätzlich nicht berechtigt, formelle Gesetze als unwirksam zu behandeln. Dies gilt insbesondere, wenn das Gericht lediglich Zweifel an der Vereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht hat.
2. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB 2 ist von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG - sog. Unionsbürgerrichtlinie - gedeckt, soweit Leistungen zum Lebensunterhalt begehrt werden.
3. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB 2 ist mit der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit - VO 883/2004 vereinbar.
4. Die Regelung des § 21 SGB 12 stellt eine Norm zur Abgrenzung der Hilfesysteme nach dem SGB 2 und dem SGB 12 anhand der Erwerbsfähigkeit dar.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. Mai 2012 mit Ausnahme der Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgehoben und der Antrag der Antragsteller abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt I S, Sstraße B, beigeordnet (§ 73 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -, § 114 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO -, § 119 Abs. 1 Satz 2, § 121 ZPO)
Gründe
I.
Der Antragsgegner wendet sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25 Mai 2012, soweit er mit diesem im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wurde, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - ab dem 1. Mai 2012 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31. Oktober 2012, zu gewähren und den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Sozialgericht zu erstatten.
Die Antragstellerin zu 1) besitzt die niederländische Staatsangehörigkeit. Sie meldete sich am 16. März 2011 in Deutschland an und gibt an, kurzfristig vom 31. August 2011 bis zum 24. November 2011 ein Gewerbe als Reinigungskraft betrieben zu haben. Der Antragsteller zu 2) wurde am 2012 in Deutschland geboren. Der Antragsgegner bewilligte der Antragstellerin zu 1) Leistungen für den Zeitraum vom 1. November 2011 bis zum 30. April 2012. Den Fortzahlungsantrag lehnt der Antragsgegner mit Bescheid vom 3. April 2012 mit der Begründung ab, die Antragstellerin sei nur zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland und somit von Leistungen ausgeschlossen. Der hier gegen von der Antragstellerin erhobene Widerspruch vom 13. April 2012 ist bisher nicht beschieden worden. Ein nach Angaben der Antragstellerin formlos gestellter Antrag auf Leistungen für den Antragsteller zu 2) wurde bisher nicht beschieden.
Am 13. April 2012 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem sie die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 727,64 Euro begehrt haben. Die Antragstellerin zu 1) gab an, sie beabsichtige, wenn Ihr Sohn ein Jahr alt sei, wieder arbeiten zu gehen und sich eine Arbeit zu suchen. Vermögen in den Niederlanden besitze sie nicht. Mit Bescheid vom 3. Mai 2012 wurde der Antragstellerin Elterngeld i.H.v. 300 Euro monatlich bewilligt, der Antrag auf Kindergeld für den Antragsteller zu 2) ist nach Angaben der Antragstellerin noch nicht beschieden.
Das Sozialgericht hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 25. Mai 2000 verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Unterhalts ab dem 1. Mai 2011 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31. Oktober 2012 zu gewähren.
Der Antragsgegner hat gegen den ihm am 25. Mai 2012 zugestellten Beschluss am 5. Juni 2012 Beschwerde erhoben, mit der er beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. Mai 2012 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Vorsitzende des Senat hat auf Antrag des Antragsgegners die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. Mai 2012 bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Beschwerdeinstanz ausgesetzt (§ 199 Abs. 2 S. 1 SGG).
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