Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenversicherung: Insolvenzgeld. Annahme einer offensichtlichen Masselosigkeit bei der faktischen Betriebseinstellung

 

Orientierungssatz

Eine offensichtliche Masselosigkeit als Voraussetzung der Gewährung von Insolvenzgeld ist auch dann anzunehmen, wenn zwar ein Insolvenzantrag nicht gestellt wurde, jedoch alle Arbeitsverträge kurzfristig durch den Arbeitgeber beendet und der Unternehmenssitz verlegt wurde, ohne dass er an einem anderen Ort wirksam wieder auflebte.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 17. November 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Streitig ist ein Anspruch auf Insolvenzgeld.

Der 1968 geborene Kläger war seit 1991 bei der H Baugesellschaft mbH (im folgenden: Arbeitgeberin), Gemeinde A M, beschäftigt. Am 21. April 2008 sprach die Arbeitgeberin dem Kläger die betriebsbedingte Kündigung zum 30. April 2008 aus. Die von ihm erhobene Kündigungsschutz- und Entgeltzahlungsklage endete durch Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 27. Juni 2008 (5 Ca 898/08). Zum Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht waren Ladungen am bisherigen Geschäftssitz der Arbeitgeberin nicht mehr möglich. Mit Datum des 24. Juli 2008 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis seinerseits fristlos mit Hinweis auf ausstehende Entgeltzahlungen seit Februar 2008.

Unterdessen hatte er am 1. Juli 2008 Insolvenzgeld für ausgefallenes Arbeitsentgelt aus den Monaten Januar bis März 2008 beantragt. Die von der Beklagten vorher (aufgrund von Insolvenzgeldanträgen anderer Arbeitnehmer) und in der Folgezeit durchgeführten Ermittlungen ergaben unter anderem, dass bis zum 3. Juni 2008 beim Amtsgericht Potsdam kein Insolvenzantrag betreffend die Arbeitgeberin gestellt worden war und dass der Alleingesellschafter der Arbeitgeberin die Geschäftsanteile am 16. April 2008 gegen einen vereinbarten Kaufpreis von 25.000,-- € (Nennwert der Geschäftsanteile) in vollem Umfang an die N H- und B-GmbH, B, (im folgenden: Erwerberin) verkauft hatte. Er selbst gab auf Anfrage der Beklagten an, dass am ursprünglichen Standort der Arbeitgeberin schon seit April 2008 keine Geschäftstätigkeit mehr stattfinde. Die Gemeinde A M bestätigte im Januar 2009, dass für eine Gewerbetätigkeit am bisherigen Firmensitz nichts ersichtlich sei. Ferner teilte sie mit, dass der frühere Inhaber der Arbeitgeberin zwar im Juli 2008 angegeben habe, seit dem 16. April 2008 nicht mehr deren Geschäftsführer zu sein, weil die Firma verkauft worden sei. Bisher sei aber weder ein neuer Geschäftsführer angezeigt noch ein Handelsregisterauszug vorgelegt worden. Eine Sitzverlegung nach B sei zwar beim Amtsgericht Potsdam angezeigt, aber wegen Eintragungshindernissen vom Amtsgericht Charlottenburg nicht vollzogen worden. Poststücke, die an die Adresse der Erwerberin gerichtet waren, liefen mit dem Vermerk “unbekannt verzogen„ an die Beklagte zurück. Der Geschäftsführer der Erwerberin war nach einer Auskunft des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin vom 25. Juni 2009 ebenfalls als “unbekannt verzogen„ melderechtlich erfasst.

Durch Bescheid vom 2. Juli 2009 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Ein Insolvenzereignis im Sinne des Gesetzes lasse sich nicht feststellen, da weder ein Insolvenzantrag gestellt worden sei noch Zahlungsunfähigkeit festgestellt werden könne.

Den Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, dass die Arbeitgeberin nach dem Verkauf keinerlei Tätigkeiten mehr ausgeführt habe und offensichtlich nicht in der Lage sei, offene Forderungen zu begleichen, wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2009 zurück. Es gebe weder ausreichende Anhaltspunkte für eine Einstellung der Betriebstätigkeit noch dafür, dass ein Insolvenzverfahren der Arbeitgeberin offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht komme.

Mit der Klage hat der Kläger sein Anliegen weiterverfolgt. Seit Februar 2008 habe er ebenso wie die anderen damals noch Beschäftigten mit Ausnahme einer Abschlagszahlung kein Arbeitsentgelt erhalten. Die Arbeitgeberin habe dies damit begründet, kein Geld zu haben. Schon in den Vormonaten seien die Lohnzahlungen unregelmäßig gewesen und es seien Mitarbeiter wegen Auftragsmangels entlassen worden. Zu Ende April 2008 seien den letzten vier Mitarbeitern Kündigungen ausgesprochen worden. Gegen den ehemaligen Geschäftsführer der Arbeitgeberin sei ein Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzverschleppung eingeleitet worden. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer der Erwerberin - der außerdem im April 2009 zur Fahndung ausgeschrieben worden sei - sei dagegen mit der Begründung eingestellt worden, er sei nach der Firmenübertragung nicht in Erscheinung getreten. Es liege nahe, dass es sich bei dem Verkauf um eine sogenannte Firmenbestattung gehandelt habe.

Das Sozialgericht hat von der Staatsanwaltschaft Potsdam die Er...

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