Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme einer Protonentherapie bei Vorliegen eines Kraniopharyngeoms. Folgenabwägung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren
Orientierungssatz
1. Zur Kostenübernahme einer Protonentherapie bei Vorliegen eines Kraniopharyngeoms durch die gesetzliche Krankenversicherung.
2. Zu den Voraussetzungen einer Folgenabwägung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 86b Abs 2 SGG.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 01. Februar 2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 01. Februar 2013 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache mit einer ambulant durchzuführenden Protonentherapie im R Proton Therapie Center in M zu versorgen, lässt keine Rechtsfehler erkennen.
1.) Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen auf einem eiligen Regelungsbedürfnis fußenden Anordnungsgrund mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache glaubhaft machen kann (§ 86b Abs. 2 Sätze 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
2.) Der Antragsgegnerin ist darin zu folgen, dass zum jetzigen Zeitpunkt ohne weitere Ermittlungen nicht abschließend geklärt ist, ob die Antragstellerin die streitgegenständliche Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB V i.V.m. §§ 135 Abs. 1 und 2 Abs. 1a SGB V von ihr verlangen kann, weil diese ambulante ärztliche Behandlung für die bei der Antragstellerin festgestellte Erkrankung an einem (rezidivierenden) Kraniopharyngeom im Rechtssinne neu ist, für ihre Erbringung keine Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 135 Abs. 1 SGB V vorliegen und die Behandlung durch Ärzte erbracht werden soll, die ausweislich der dem Senat zur Verfügung stehenden Informationen zur Erbringung von Leistungen der ambulanten Strahlentherapie weder zugelassen noch ermächtigt sind. Soweit die Leistungspflicht der Antragsgegnerin im vorliegenden Fall von der Antragstellerin aus § 2 Abs. 1a SGB V hergeleitet wird, steht derzeit jedenfalls nicht fest, ob für die Erkrankung der Antragstellerin eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung (nicht) zur Verfügung steht. Die Antragsgegnerin stützt ihre Ablehnung der von der Antragstellerin begehrten ambulanten Behandlung (Bescheid vom 21. April 2011 sowie Widerspruchsbescheid vom 01. September 2011) vor allem auf eine Stellungnahme des MDK Bayern vom 19. Mai 2011(Dr. S), in der der MDK in der bei der Antragstellerin gegebenen Rezidivsituation als adjuvante Therapie eine Strahlentherapie mit Photonen in Form einer konventionell fraktionierten Bestrahlung, einer hypofraktionierten Bestrahlung oder einer Einzeitbestrahlung (Radiochirurgie) für indiziert hält. Dafür stützt sich der MDK Bayern auf eine Würdigung der aktuellen Literatur, nach der die häufigsten radiochirurgischen Behandlungen von Kraniopharyngeomen bisher mit dem Gamma Knife System erfolgt seien. Die Behandlungsergebnisse würden insgesamt als positiv bewertet und zeigten, dass die Radiochirurgie eine effektive Therapiemaßnahme zur Wachstumskontrolle von Kraniopharyngeomen darstellen könne und in der Rezidivsituation oder bei Inoperabilität des Tumors indiziert sei. Bei einer Literaturrecherche zu den Stichworten “Kraniopharyngeom„ und “Radiochirurgie„ hätten sich 135 Zitierungen, für die Stichworte “Kraniopharyngeom„ und “Protonentherapie„ dagegen nur 2 Zitierungen finden lassen, die zudem eine Überlegenheit der Protonentherapie gegenüber der modernen Photonentherapie bei der Behandlung von Kraniopharyngeomen nicht hätten belegen können.
Diese Stellungnahme ist nicht geeignet, den Senat davon zu überzeugen, dass die Gewährung einer ambulanten Protonentherapie für die Antragstellerin nach § 2 Abs. 1a SGB V schlechthin ausgeschlossen ist. Denn sie lässt die nach § 2 Abs. 1a SGB V erforderliche eingehende medizinische Auseinandersetzung mit dem Einzelfall der Antragstellerin vermissen. Sie stützt sich zur Begründung der Bejahung einer Indikation radiochirurgischer Verfahren im Wesentlichen nur auf allgemeine statistische Erwägungen, ohne die von den behandelnden Ärzten aufgeworfenen Bedenken gegen eine Photonentherapie (Gefahr von Strahlenschäden für Hypophyse, Sehnerven einschließlich chiasma opticum als limi...