Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. unverheirateter Elternteil eines getrennt lebenden minderjährigen ausländischen Kindes

 

Leitsatz (amtlich)

Ein beim Vater lebender nicht deutscher minderjähriger Unionsbürger mit Aufenthaltsrecht in Deutschland vermittelt der ledigen Mutter kein Aufenthaltsrecht nach § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG (juris AufenthG 2004).

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. Mai 2017 wird insoweit aufgehoben, als der Antragsgegner verpflichtet wurde, der Antragstellerin vorläufige Leistungen der Grundsicherung für den Zeitraum vom 27. März bis 31. August 2017 zu gewähren.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten bewilligt.

 

Gründe

I.

Die Beschwerde des Antragsgegners (§ 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin kann sich neben dem Freizügigkeitsrecht zur Arbeitssuche, mit dem sie gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II) von Leistungen ausgeschlossen ist, auf kein weiteres Aufenthaltsrecht berufen.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts besteht kein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 Satz 11 Freizügigkeitsgesetz/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz. Nach diesen Vorschriften ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge unter weiteren Voraussetzungen zu erteilen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen schon deshalb nicht vor, da die fünf minderjährigen Kinder der Antragstellerin nicht d, sondern r Staatsangehörigkeit sind. Dem Wortlaut nach vermittelt § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz also keineswegs eine günstigere Rechtsstellung als das Freizügigkeitsgesetz/EU, soweit der Nachzug zu Unionsbürgern betroffen ist.

Eine bessere Rechtsstellung als nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU ergäbe sich allenfalls dann, wenn die Vorschrift in Anwendung des Diskriminierungsverbotes aus Art. 18 AEUV dergestalt interpretiert wird, dass nicht nur der Nachzug zu einem minderjährigen ledigen Deutschen, sondern der Nachzug zu minderjährigen ledigen Unionsbürgern mit Aufenthaltsrecht und gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland geregelt werden sollte.

Der Senat verkennt nicht, dass eine solche Auslegung in der Kommentarliteratur (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Auflage, § 11 FreizügG/EU, § 11, Rdnr. 38, 39) vertreten wird, aber keineswegs einhellig (a.A. Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand Dezember 2013, § 11 FreizügG/EU Rn. 107). Eine derart weitgehende Auslegung des Diskriminierungsverbots aus Art. 18 AEUV hält der Senat aber nicht für überzeugend.

Nach Auffassung des Senats ist die dargelegte Rechtsauffassung ohne ausreichende Begründung geblieben, die Aufschluss darüber geben könnte, warum mit einer derart weitreichenden Auslegung des Diskriminierungsverbotes die hier einschlägigen Vorschriften des FreizügG/EU obsolet würden. Denn nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU besteht auch für Verwandte in aufsteigender Linie (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU) wie die Antragstellerin als Mutter ihrer Kinder nach § 3 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU ein Freizügigkeitsrecht lediglich nach Maßgabe des § 4 FreizügG/EU, also wenn sie unter anderem über ausreichende Existenzmittel/Unterhaltsansprüche verfügen, was vorliegend nicht der Fall ist, da die Kinder und ihr Vater ebenfalls SGB II-Leistungen beziehen. Die genannte Regelung des FreizügG/EU hätte praktisch keinen Anwendungsbereich mehr, wenn die Ausnahmevorschrift des § 28 Aufenthaltsgesetz, die ein Aufenthaltsrecht des ausländischen Elternteils nur zugunsten eines minderjährigen Deutschen regelt, auf alle EU-Bürger ausgedehnt wird. Auch ist dem Senat einschlägige Rechtsprechung der sachnäheren Verwaltungsgerichte zum behaupteten Aufenthaltsrecht aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz weder aus der zitierten Kommentarliteratur noch aus der zitierten Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 30. November 2015, L 19 AS 1713/15 B ER und Urteil vom 1. Juni 2015, L 19 AS 1923/14, zitiert nach juris) noch aus einem Beschluss des 25. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (L 25 AS 1331/16 B ER zitiert nach juris) bekannt geworden. Dem -soweit ersichtlich- einzigen Urteil zur Frage eines Aufenthaltsrechts aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. März 2009 (Az.: 12 V 40/08 zitiert nach juris) fehlt an der entscheidenden Stelle jede Begründung (siehe Rn. 21 des Abdrucks bei juris). Dabei verkennt der Senat nicht, dass es für die sozialrechtlichen Belange nicht von Bedeutung ist, ob dem Unionsbürger ein entsprechender Titel nach dem Aufenthaltsgesetz erteilt w...

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