Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Gewährung von Unterkunftskosten in voller Höhe. Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Bestehen einer Kündigungslage. zwei Monatsmieten Rückstand. Eilbedürftigkeit. Drohende Wohnungslosigkeit. Räumungsklage
Orientierungssatz
1. Ein ausreichender Anlass für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes iS eines Anordnungsgrundes ist in Fällen, die die Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB 2 zum Gegenstand haben, im Regelfall gegeben, wenn das Bestehen einer Kündigungslage glaubhaft gemacht ist, da dann das Risiko des Wohnungsverlustes konkrete Form angenommen hat.
2. Eine den Anordnungsgrund ausschließende besondere Sachlage liegt vor, wenn im Einzelfall mit der Durchsetzung einer Kündigung - etwa unter nahen Verwandten - nicht zu rechnen ist, wenn eine zu erwartende Kündigungsandrohung/Mahnung unterblieben ist oder wenn die Aufgabe der Wohnung aus anderen Gründen bevorsteht, das Verfahren also nicht dem Erhalt der Wohnung, sondern der Vermeidung von Schulden dienen soll.
3. Der verbreiteten Auffassung, ein Anordnungsgrund bestehe erst dann, wenn eine Räumungsklage erhoben ist (vgl LSG Essen vom 23.10.2013 - L 12 AS 1449/13 B ER und LSG Berlin-Potsdam vom 23.7.2012 - L 18 AS 1867/12 B ER), vermag der Senat nicht zu folgen.
4. Eine Kündigungslage für eine außerordentliche Kündigung begründet insbesondere ein Mietrückstand von zwei Monatsmieten (§ 543 Abs 2 S 1 Nr 3 BGB).
Normenkette
SGB II § 22 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2; BGB § 543 Abs. 3 Nr. 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2, § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. Mai 2014 wird zurückgewiesen, soweit dieser Beschluss die Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen zum Gegenstand hat (L 10 AS 1393/14 B ER).
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens erster Instanz zur Hälfte, weitergehende Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Beschluss wird aufgehoben, soweit der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W in B abgelehnt worden ist (L 10 AS 1394/14 B ER PKH); dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt W in B beigeordnet; Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt W in B beigeordnet; Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers (L 10 AS 1393/14 B ER) gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Berlin, mit dem das SG es abgelehnt hat, ihm für die Zeit vom 01. April 2014 bis zum 30. September 2014 weitere Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 158,73 EUR monatlich (mit nicht bestandskräftigem, endgültigem Bescheid vom 22. April 2014 wurden insoweit 181,27 EUR bewilligt) nach § 22 Abs 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu zahlen, ist nicht begründet. Für eine entsprechende Regelungsanordnung iS des § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) fehlt der Anordnungsgrund.
Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Anordnungsanspruch - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - sowie der Anordnungsgrund - die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung - sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz; im Beschwerdeverfahren kommt es demnach auf den Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung an.
Der Anordnungsanspruch ist zweifelsfrei begründet. Der Antragsteller ist durch den (Untermiet-) Vertrag vom 28. August 2012 verpflichtet, für das von ihm unter Mitnutzung von Bad und Küche der Zwei-Zimmer-Wohnung bewohnte möblierte Zimmer einem Mietzins von 340,00 EUR zu entrichten. Er ist insoweit einer wirksamen vertraglichen Verpflichtung ausgesetzt (vgl Bundessozialgericht ≪BSG≫ Urteil vom 03. März 2009 - B 4 AS 37/08 R Rdnr 24, juris; Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 2/10 RdNr 15, juris) für eine Verteilung nach Kopfteilen ist in einer solchen Situation, die durch die vertragliche Fixierung der Pflichtenstellung gekennzeichnet ist, kein Raum (BSG Urteil vom 18. April 2008 - B 14/11b AS 61/06 R RdNr 19, 22, juris; Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 161/11 R, RdNr 16, juris). Insoweit geht es nicht darum, was von dem Antragsgegner erwartet werden kann (dessen Schriftsatz vom 08. Juli 2014), sondern um die Anwendung von höchstrichterlich (in nachvollziehbarer Weise) konkretisiertem Gesetzesrecht.
Die begehrte ...