Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes. Nichterforderlichkeit einer Räumungs- bzw Kündigungsklage
Orientierungssatz
Zur Bewilligung von Kosten der Unterkunft durch den Grundsicherungsträger im Wege des einstweiligen Rechtschutzes bedarf es zur Glaubhaftmachung des erforderlichen Anordnungsgrundes weder einer Räumungsklage noch einer sog Kündigungsklage (Festhaltung an LSG Essen vom 4.5.2015 - L 7 AS 139/15 B ER = NZS 2015, 589 = juris RdNr 26ff).
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 04.09.2017 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller von Mai 2017 bis Oktober 2017 Unterkunftskosten iHv 313 EUR monatlich zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Auszahlung von bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung für Mai 2017 und Juni 2017 sowie die Weiterzahlung dieser Leistungen ab Juli 2017.
Der am 00.00.1958 geborene Antragsteller bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von dem Antragsgegner. Mit Bescheiden vom 30.06.2016 und 26.02.2017 bewilligte der Antragsgegner Leistungen für Juli 2016 bis Juni 2017 iHv insgesamt monatlich 717 EUR. Hierin enthalten waren Bedarfe für Unterkunft und Heizung für eine Wohnung im H 00, E, iHv 313 EUR monatlich.
Da der Antragsteller nach Auffassung des Antragsgegners nur einen auffallend geringen Verbrauch an Strom und Gas hatte, veranlasste der Antragsgegner am 24.04.2017 einen Hausbesuch seines Ermittlungsdienstes. Nach dessen Feststellungen waren "an allen Elektrogeräten die Stecker herausgezogen" und sah das "Schlafzimmerbett unbenutzt aus". Bekleidung war vorhanden, Lebensmittel befanden sich nicht in der Wohnung. Mit Schreiben vom 25.04.2017 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zu verschiedenen Angaben und zur Vorlage von Unterlagen auf. Der Antragsteller erläuterte mit Schreiben vom 26.04.2017 seine Wohnsituation und versicherte, dass sich sein Lebensmittelpunkt in der Wohnung im H 00 befinde. Mit Bescheid vom 03.05.2017 informierte der Antragsgegner den Antragsteller über die vorläufige Einstellung der Leistungen für Unterkunft und Heizung ab Mai 2017.
Am 09.06.2017 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Dortmund beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Unterkunftskosten ab Mai 2017 weiter zu zahlen und die Leistungen ab Juli 2017 zügig zu bewilligen. Mit Bescheid vom 13.06.2017 hat der Antragsgegner dem Antragsteller für Juli 2017 bis September 2017 Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs iHv 409 EUR monatlich bewilligt. Mit Beschluss vom 04.09.2017 hat das Sozialgericht den Antrag und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, da noch keine Räumungsklage erhoben worden sei und damit ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden sei.
Gegen die am 13.10.2017 zugestellte Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 07.11.2017, mit der der Antragsteller die Zahlung von Leistungen für Unterkunft und Heizung ab Mai 2017 weiter verfolgt.
Laut Mitteilung des Antragsgegners sind die Leistungen ab 01.11.2017 eingestellt worden, weil der Antragsteller seit November 2017 "aufgrund Arbeitsaufnahme" nicht mehr hilfebedürftig sei.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die beantragte einstweilige Anordnung abgelehnt.
Der einstweilige Rechtsschutz richtet sich auch für die Monate Mai 2017 und Juni 2017 nach § 86b Abs. 2 SGG, da die vorläufige Leistungseinstellung gem. §§ 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II iVm § 331 Abs. 2 SGB III ohne Verwaltungsakt erfolgt, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage iSd § 86b Abs. 1 SGG angefochten werden könnte (in diesem Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 03.09.2012 - L 19 AS 1603/12 B). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitig...