Entscheidungsstichwort (Thema)

Private Krankenversicherung. Zuschuss. Ruhen der Leistungen. Hilfebedürftigkeit. Grundsicherung für Arbeitssuchende: Geltendmachung eines Anspruchs auf Ausgleich von Beitragsrückständen in der privaten Krankenversicherung im Rahmen eines sozialgerichtlichen Eilverfahrens

 

Orientierungssatz

1. Für eine vorläufige Verpflichtung eines Leistungsträgers zur Gewährung eines höheren Zuschusses zum Ausgleich von in der Vergangenheit liegender Beiträge einer privaten Krankenversicherung fehlt es an der für das Eilverfahren erforderlichen Dringlichkeit, wenn sich diese Verpflichtung nur auf einen Teilzeitraum bezieht und damit selbst im Falle einer entsprechenden Verpflichtung des Leistungsträgers der Leistungsempfänger nicht die in der Vergangenheit insgesamt entstandene Beitragsschuld ausgleichen kann, um ein bereits eingetretenes Ruhen der Leistungen zu beenden.

2. Die Regelung in § 193 Abs. 6 S. 5 VVG zur Auswirkung des Eintritts einer Hilfsbedürftigkeit auf das Ruhen einer privaten Krankenversicherung erfasst auch die Fälle, in denen der Versicherungsnehmer vor dem Eintritt des Ruhens hilfebedürftig war.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf vorläufige Erbringung eines höheren Zuschusses zu den Beiträgen für eine private Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit von Juni 2010 bis November 2010 wird abgelehnt.

Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die nicht durch § 172 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossene und auch im Übrigen zulässige (§ 173 SGG) Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein die mit dem Antrag vom 24. März 2010 geltend gemachte vorläufige Erbringung eines höheren Zuschusses zu den Beiträgen des Antragstellers zu seiner privaten Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit von Dezember 2009 bis Mai 2010. Die Entscheidungen des Antragsgegners in den Bescheiden vom 28. Mai 2010 und 12. Juli 2010, dem Antragsteller für die Zeit von Juni 2010 bis November 2010 nur einen Zuschuss in Höhe von 126,05 Euro bzw. 18,04 Euro zu diesen Beiträgen zu gewähren, sind entgegen dessen Auffassung nicht nach § 96 SGG - auch nicht in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift - Gegenstand des beim Sozialgericht anhängigen Klageverfahrens (S 104 AS 10259/10) geworden, da sie die Verwaltungsakte, die Gegenstand jenes Verfahrens sind, nicht ändern oder ersetzen (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Urteile vom 25. Juni 2008 - B 11b AS 35/06 R -, vom 23. November 2006 - B 11b AS 9/06 R - sowie vom 6. November 2006 - B 7b AS 14/06 R -). Der Rechtsschutz im einstweiligen Verfahren kann jedoch nicht weiter reichen als im Hauptsacheverfahren. Folgerichtig hat das Sozialgericht über diesen Zeitraum auch nicht entschieden.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Maßgebend sind dabei - auch im Beschwerdeverfahren - in der Regel die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2007 - L 28 B 1637/07 AS ER -; erkennender Senat, Beschluss vom 4. September 2009 - L 14 AS 1063/09 B ER -, nicht veröffentlicht; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO], 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rdnrn. 165, 166 m. w. N. zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist sie durch den Zeitabla...

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