Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung des vertragsärztlichen Honorars bei grob fahrlässiger Falschabrechnung des Vertragsarztes
Orientierungssatz
1. Die Aufhebung eines Honorarbescheides wegen nicht oder nicht in der erforderlichen Weise erbrachter vertragsärztlicher Leistungen hat zur Folge, dass das Honorar insgesamt neu festgesetzt werden kann. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) darf dabei den Umfang der Unrichtigkeit schätzen, wenn der Vertragsarzt grob fahrlässig gehandelt hat.
2. Die Abrechnung der GO-Nummern 10, 11 und 17 EBM-Ä erfordert eine Zeitvorgabe von mindestens 15 Minuten (BSG Urteil vom 24. 10. 2018, B 6 KA 44/17 R). Hat sich der Vertragsarzt damit nicht vertraut gemacht und infolgedessen grob fahrlässig falsch abgerechnet, so ist die KV nach § 106d SGB 5 zur Schätzung des festzusetzenden Honorars berechtigt. Hierbei kann das geschuldete Honorar in Höhe des Durchschnitts der Fachgruppe festgesetzt werden.
3. Der Vertragsarzt, der grob fahrlässig Falschabrechnungen zu verantworten hat, kann eine möglichst genaue Alternativberechnung nicht beanspruchen /LSG Celle Urteil vom 26. 11. 2014, L 3 KA 70/12).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Berlin vom 11. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 30.531,79 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid, mit dem die Beklagte den Honorarbescheid über die vertragsärztliche Vergütung, betreffend das Quartal II/1996 aufgehoben, das Honorar neu festgesetzt und die Summe von 59.715.00 DM zurückgefordert hat.
Der 1953 geborene Kläger war im Bereich der Beklagten im Planungsbezirk B-K zur vertragsärztlichen Versorgung als Arzt für Allgemeinmedizin zugelassen. Er war zunächst in Gemeinschaftspraxis (in I/1996 mit Dr. U) tätig, seit dem 1. April 2006 in einer Einzelpraxis. Die Beklagte setzte das Honorar des Klägers für das Quartal II/1996 auf der Grundlage des EBM-Ä 1996 zunächst auf 125.825,44 DM fest. Im Nachgang der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 17. September 1997 (6 RKa 36/97), wonach die die durch den EBM-Ä 1996 vorgegebene, rückwirkende Budgetierung der Gesprächs- und Untersuchungsleistungen für I und II/1996 rechtswidrig war, setzte die Beklagte das Honorar des Klägers für das o.g. Quartal auf 117.923,61 DM fest (Bescheid vom 24. November 1997). Der Kläger erhob dagegen keinen Widerspruch. Der Disziplinarausschuss der Beklagten ordnete mit Beschluss vom 25. November 1998 das Ruhen der Zulassung des Klägers für vier Quartale, beginnend am 1. April 1999 an. Die Auswertung von Tagesprofilen für das Quartal II/1996 habe gezeigt, dass der Kläger für die Erbringung der abgerechneten ärztlichen Leistungen, nämlich zu 80 % die Abrechnungsziffern 10 und 11 EBM-Ä (1996), täglich 15,76 Stunden hätte tätig sein müssen. Unter den Bedingungen der (ehemals geltenden) rückwirkenden Budgetierung habe die vom Vorstand ursprünglich festgelegte Maßnahme, die Reduzierung des Honorarvolumens auf den Fachgruppendurchschnitt, nicht greifen können, da die Abrechnung des Klägers nach der Budgetierung unterhalb des Fachgruppendurchschnitts gelegen habe. Der Vorstand der Beklagten habe daher beschlossen, in solchen Fällen ein Disziplinarverfahren anzustrengen. Dieser Vorstandsbeschluss betreffe den Kläger in doppelter Hinsicht. Er habe einerseits nicht auf den Fachgruppendurchschnitt zurückgestuft werden können und andererseits - bezogen auf die Tagesprofile - hätten sich 20 Arbeitstage mit über 18 Stunden gefunden, wobei an 7 Tagen allein EBM-Festzeitleistungen mit über 18 Stunden aufgetreten seien. Nach Stellungnahme des Klägers und weiterer Auswertung der Tagesprofile habe sich eine durchschnittliche tägliche Arbeitszeit von 15,76 Stunden pro Tag ergeben. Für den Disziplinarausschuss stehe fest, dass der Kläger in dem Quartal II/1996 in mehreren hundert Fällen Leistungen abgerechnet habe, die er nicht oder aber nicht in ausreichendem Umfang erbracht habe. Die Abrechnungsfehler habe er in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt und konzediert, sich nicht viel mit der Abrechnung beschäftigt zu haben. Er sei mit einer Schadenswiedergutmachung einverstanden gewesen und würde die Entscheidung des Disziplinarausschusses akzeptieren. Er habe zudem eingestanden, so gut wie nie die für die Abrechnungsziffern 10 und 11 vorgegebene EBM-Zeit erfüllt zu haben. In der Diskussion mit dem Disziplinarausschuss sei der Eindruck entstanden, dass er sich mit den Leistungslegenden dieser GO-Nrn. weder in zeitlicher noch in qualitativer Hinsicht vertraut gemacht habe. Es bleibe dem Disziplinarausschuss nichts anderes übrig als die Abrechnungssammelerklärung des Klägers für das Quartal II/1996 als grob fahrlässige schriftliche Lüge zu bewerten. Jeder durchschnittlich begabte Nichtarzt müsse aufgrund des schlichten Lesens der Gebührenordnungsnummern 10 und 11 in der Lage sei...