Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Krankenversicherungsschutz durch einstweiligen Rechtsschutz. Pflichtversicherung. Unmittelbarkeit
Orientierungssatz
1. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB 5 ist gesetzlich krankenversichert, wer u. a. nicht unmittelbar vor dem SGB 2-Bezug privat krankenversichert war. Die Pflichtversicherung für bisher weder gesetzlich noch privat Versicherte ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen unmittelbar vor dem SGB 2-Bezug vorgelegen haben.
2. Das Bestehen eines steuerfinanzierten Gesundheitssystems eines anderen Staates ist einer inländischen Versicherung nicht gleichzusetzen, bei der den Leistungen im Leistungsfall Beitragspflichten des Versicherten gegenüberstehen.
3. Hat sich der Antragsteller nachweisbar vergeblich um eine private Versicherung bemüht, so besteht der für die Bewilligung von einstweiligem Rechtsschutz erforderliche Anordnungsgrund. Bereits das Bestehen einer Absicherung im Krankheitsfall gehört zu den Grundbedürfnissen des Existenzminimums. Die Dringlichkeit für die vorläufige Regelung beschränkt sich auf den Zeitraum des bewilligten SGB 2-Bezugs.
4. Weil regelmäßiges Erfordernis für eine ärztliche Behandlung die Vorlage einer gültigen Versicherungskarte ist, besteht auch ein Anspruch auf Aushändigung einer solchen.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2010 wird abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, der Antragsstellerin ab sofort bis 28. Februar 2011 vorläufig Krankenversicherungsschutz zu gewähren und ihr unverzüglich eine Krankenversicherungskarte auszuhändigen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die der Antragstellerin entstandenen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für erst- und das zweitinstanzlichen Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ihre Bevollmächtigte Rechtsanwältin H beigeordnet.
Gründe
I.
Die 1947 geborene Antragstellerin, welche die deutsche und die bulgarische Staatsangehörigkeit hat, begehrt von der Antragsgegnerin, ihr vorläufig Krankenversicherungsschutz zu gewähren.
Sie lebte von 1999 bis Ende 2009 in Bulgarien und war dort - nach ihren Angaben - weder privat noch gesetzlich krankenversichert. Ihr stand nach ihren Angaben dem Grunde nach staatliche Unterstützung im Krankheitsfall zu. Bis Ende 1998 war sie in Deutschland privat krankenversichert gewesen.
Sie erhält seit 4. Januar 2010 Arbeitslosengeld II, zuletzt mit Bescheid des JobCenter N vom 27. Juli 2010 bis 28. Februar 2011.
Die Antragsgegnerin lehnte die beantragte Mitgliedschaft bei ihr mit Bescheid vom 11. März 2010 ab, gegen den Widerspruch erhoben ist.
Die Antragsstellerin stellte daraufhin bei der D Krankenversicherung AG eine förmliche Anfrage nach Versicherungsschutz im Basistarif. Diese lehnte jedoch den Vertragsabschluss ab.
Am 15. November 2011 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das SG hat den Antrag ablehnt.
II.
Die Beschwerde ist begründet.
Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Hierfür sind grundsätzlich das Bestehen eines Anordnungsanspruches und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes erforderlich. Der Anordnungsanspruch bezieht sich dabei auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz begehrt wird, die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
Entscheidungen dürfen dabei grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 -1 BvR 596/05-).
Ganz allgemein ist ein Zuwarten umso eher unzumutbar, je größer die Erfolgschancen in der Sache einzuschätzen sind (ständige Rechtsprechung des Senats, z. B. Beschluss vom 23.10.2008 - L 1 B 346/08 KR ER - juris, Beschluss vom 04.06.2010 - L 1 KR 138/10 BER).
Hier bestehen - soweit stattzugeben war - ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund. Es ist der Antragstellerin angesi...