Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht. unfreiwillige Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit. Arbeitnehmerüberlassung. vorläufige Entscheidung nach § 41a Abs 7 S 1 Nr 1 SGB 2. Ermessensreduzierung auf Null

 

Leitsatz (amtlich)

1. Tätigkeiten, die in der Bundesrepublik Deutschland zwar ausgeübt werden, aber nicht deren Rechts- und Verwaltungsvorschriften unterliegen, für die insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland keine Sozialabgaben abgeführt werden, scheiden für eine Antwort auf die Frage, ob gem § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 FreizügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) eine Tätigkeit von mehr als einem Jahr ausgeübt wurde, aus.

2. Das dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gem § 41a Abs 7 S 1 Nr 1 SGB 2 eingeräumte Ermessen ist nicht aufgrund des existenzsichernden Charakters der Leistungen zur Sicherheit des Lebensunterhaltes nach dem SGB 2 auf Null reduziert.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin M G, Be, beigeordnet. Beträge aus dem Vermögen oder Raten sind nicht zu zahlen.

 

Gründe

I.

Die 1991 geborene, erwerbsfähige Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige. Bis (mindestens) zum 9. April 2015 hatte sie ihren Wohnsitz in Polen. Vom 9. April 2015 bis zum 1. Oktober 2015 war sie unter der Adresse einer in B- gelegenen Wohnung (“bei R„) und vom 1. Oktober 2015 bis zum 1. Dezember 2016 unter der Adresse einer in B-R gelegenen Wohnung (“bei O„) gemeldet (vgl. Bl. 191 - 192 der Akten des Gerichts ___AMPX_)_SEMIKOLONX___XGA___AMPX_(_SEMIKOLONX___X). Seit dem 1. Dezember 2016 ist sie Mieterin einer in B-P gelegenen Wohnung. Für den Gebrauch dieser Wohnung schuldet sie eine Brutto-Warmmiete in Höhe von 429,12 € monatlich sowie eine Sicherheitsleistung in Höhe von 909,00 € (vgl. Bl. 59 - 73 GA).

Vom 4. August 2014 bis zum 23. März 2015 war sie (eigenen Angaben zufolge als “Grenzgängerin„) im Wege der Arbeitnehmerüberlassung für die in Berlin ansässige W S GmbH & Co. Gießerei KG in Vollzeit tätig. Ihr Arbeitgeber (Verleiher) - der für sie in Polen Sozialversicherungsbeiträge abführte (vgl. Bl. 25 - 26, 127 - 129, 139 GA) - war eine polnische “Arbeitsagentur für Arbeitnehmerüberlassung„ ( Sp. z.o.o., Gliwice, Polen) (vgl. Bl. 91, 93, 179 GA).

Mit Vertrag vom 31. März 2015 wurde zwischen ihr und der W S GmbH & Co. Gießerei KG für die Zeit vom 23. März 2015 bis zum 24. September 2015 ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet (vgl. Bl. 27 - 32 GA). Am 14. April 2015 stellte die W S GmbH & Co. Gießerei KG einen Insolvenzantrag, aufgrund dessen am 10. Juni 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (vgl. Bl. 133 - 134 GA). Mit Vertrag vom 1. September 2015 verlängerten der Insolvenzverwalter und die Antragstellerin das zwischen ihr und der W S GmbH & Co. Gießerei KG begründete Arbeitsverhältnis bis zum 31. Dezember 2015 (vgl. Bl. 33 GA).

Vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2016 bezog die Antragstellerin Arbeitslosengeld (vgl. Bl. 34 - 37 GA). Mit Bescheiden vom 5. September 2016 und 26. November 2016 bewilligte ihr das Jobcenter Berlin Reinickendorf für die Zeit vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Dezember 2016 ergänzend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) (vgl. Bl. 39 - 46 GA). Aufgrund des Umzugs der Antragstellerin nach Berlin-Pankow hob es die Bescheide vom 5. September 2016 und 26. November 2016 mit Bescheid vom 13. Dezember 2016 zum 1. Januar 2017 auf (vgl. Bl. 50 - 51 GA).

Mit Bescheid vom 3. Januar 2017 lehnte der Antragsgegner den Leistungsantrag der Antragstellerin vom 8. Dezember 2016 ab (vgl. Bl. 52 GA). Mit Schreiben vom 13. Januar 2017 erhob die Antragstellerin Widerspruch (vgl. Bl. 56 - 58 GA).

Am 16. Januar 2017 hat die Antragstellerin den Antrag gestellt, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen “nach dem SGB II in Form von Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Kosten der Unterkunft und Heizung ab sofort zu gewähren„ (vgl. Bl. 1 - 5 GA).

Das Sozialgericht Berlin hat das Land Berlin (vertreten durch das Bezirksamt Pankow, dieses vertreten durch das Amt für Soziales) beigeladen (Beschluss vom 7. Februar 2017 ___AMPX_)_SEMIKOLONX___Xvgl. Bl. 98 - 99 GA___AMPX_(_SEMIKOLONX___X) und mit Beschluss vom 20. Februar 2017 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Sie sei gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen. Auf den Verlängerungstatbestand des § 2 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) könne sie sich nicht berufen, da ihre Arbeitnehmereigenschaft vor mehr als sechs Monaten geendet habe. Die ...

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