Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis einer effektiven Beschäftigungssuche als Voraussetzung der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für einen Unionsbürger
Orientierungssatz
1. Kommt für einen Unionsbürger allenfalls ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche in Betracht, so ist er gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen.
2. Der Generalanwalt des EuGH hält einen pauschalen Leistungsausschluss lediglich dann für gleichheitswidrig, wenn die betreffende Person in dem Mitgliedstaat bereits eine Beschäftigung ausgeübt hat. Dann dürfen ihr im Anschluss an eine Erwerbstätigkeit von mehr als drei Monaten, aber weniger als einem Jahr, derartige Leistungen nicht automatisch ohne individuelle Prüfung verweigert werden, ohne dass es dem Unionsbürger erlaubt würde, das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Aufnahmemitgliedstaat nachzuweisen.
3. Hierzu muss der Antragsteller die tatsächliche und effektive Beschäftigungssuche während eines angemessenen Zeitraums nachweisen.
4. Dazu muss er sich mehr als drei Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und eine Erwerbstätigkeit rechtmäßig ausgeübt haben.
5. Zusätzlich muss er nachweisen, dass er effektiv und tatsächlich eine Beschäftigung gesucht hat.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 4. August 2015 aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt D N, Allee, B beigeordnet.
Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1975 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger und ledig. Nach seinen eigenen Angaben lebt er seit Januar 2014 in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Zeit wohnt er nach seinen eigenen Angaben kostenfrei bei einer Familie K. Zum 1. Februar 2014 meldete er in Berlin ein Gewerbe unter anderem im Trockenbau an und meldete dies Gewerbe zum 26. Februar 2015 wieder ab. Einnahmen aus dieser Tätigkeit erzielte der Antragsteller nach seinen eigenen Angaben nur bis zum Monat September 2014 bzw. Oktober 2014.
Im Januar 2015 meldete sich der Antragsteller bei dem Antragsgegner arbeitslos und beantragte erstmalig Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller daraufhin für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis 30. Juni 2015 Leistungen in Höhe von 399 € monatlich (Bescheid vom 5. März 2015).
Am 9. Juni 2015 beantragte der Antragsteller die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 2. Juli 2015 unter Hinweis auf den Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II ab.
Am 6. Juli 2015 hat der Antragssteller daraufhin bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Es bestünde ein Anspruch, da die Nachwirkung des Arbeitnehmerstatus des Antragstellers noch nicht abgelaufen sei. Nach mehr als einem Jahr Tätigkeit bleibe sein Aufenthaltsrecht als selbstständig Erwerbstätiger gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/ EU unberührt.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 4. August 2015 den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 6. Juli 2015 bis zum 31. Dezember 2015, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zu zahlen und zwar monatlich ab August 2015 vorläufig 399 €. Zwar habe der Antragsteller nur ein Aufenthaltsrecht aus dem Zweck der Arbeitssuche. Seine selbstständige Tätigkeit habe er nach seinen eigenen Angaben tatsächlich nur im Zeitraum vom 1. Februar 2014 bis zum 31. Oktober 2014 ausgeübt, da er nur in dieser Zeit Einnahmen erzielt habe. Der Zeitpunkt der Gewerbeabmeldung am 26. Februar 2015 sei deshalb nicht maßgeblich zur Ermittlung der Dauer der ausgeübten Tätigkeit. Damit liege keine Tätigkeit von mehr als einem Jahr vor und damit kein andauerndes Aufenthaltsrecht als selbstständig Tätiger. Ein Anspruch ergebe sich jedoch aus § 328 Absatz 1 S. 1 Nr. 1 SGB III, weil wegen des existenzsichernden Charakters der Grundsicherungsleistungen es notwendig sei, diese zu erbringen.
Gegen diesen dem Antragsgegner am 5. August 2015 per Fax bekannt gegebenen Beschluss hat der Antragsgegner am 7. August 2015 Beschwerde bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.
Der Antragsteller ist der Ansicht, ihm sei zu Recht nach einer Folgenabwägung über § 328 SGB III die Leistung bewilligt worden. Nach seiner ausgeübten selbstständigen Tätigkeit stünden ihm zudem entsprechend der Schlussanträge des Generalanwalts vom 26. März 2015 weiterhin Leistungen zu, weil er bereits mehr als ein Jahr in der Bundesrepublik gearbeitet habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakten und den Inhalt der beigezogene...