Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Kosten der Unterkunft und Heizung. Objektive Beweislast. Schätzungsbefugnis. Heizkostenbedarf. Stromrechnung. Nachforderung. Übernahme von Stromkosten in einer Summe als (weitere) Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Schätzung nach § 287 Abs 1 ZPO
Orientierungssatz
1. Die Übernahme von Stromkosten als (weitere) Aufwendungen für Unterkunft und Heizung iS von § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 ist möglich, sofern sie für das Beheizen der Wohnung aufzubringen sind (vgl BSG vom 26.5.2010 - B 4 AS 7/10 B).
2. Wird eine Stromkostennachforderung in einer Summe fällig, handelt es sich im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit um einen tatsächlichen, aktuellen Bedarf iS des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2, wenn und soweit sie auf das Betreiben einer Heizungsanlage zurückzuführen ist. Allein der Umstand, dass der Hilfebedürftige die Nachforderung offenbar nicht bis zum Ablauf der vom Stromversorger gesetzten Frist beglichen hat, führt nicht dazu, dass es sich - allein durch Zeitablauf - bei den Kosten nicht mehr um einen aktuellen Bedarf, sondern (nur noch) um nach § 22 Abs 5 S 1 SGB 2 durch Darlehen auszugleichende Schulden handelt.
3. In einem Fall, in dem möglicherweise selbst die Einholung eines Sachverständigengutachtens keine eindeutige Klärung verspricht und zudem dessen Einholung - auch angesichts der Höhe des erhobenen Anspruchs - einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten könnte, darf sich das Gericht jedenfalls nicht auf die Regeln der objektiven Beweislast berufen. Vielmehr ist es - sofern es von der Einholung eines Gutachtens absehen will - verpflichtet, eine Schätzung nach § 287 Abs 1 ZPO iVm § 202 SGG vorzunehmen (vgl BSG vom 28.5.2003 - B 3 P 6/02 R = SozR 4-3300 § 15 Nr 1 RdNr 12). Als Schätzgrundlage bietet sich im konkreten Fall ein Vergleich mit den Stromabrechnungen der Vorjahre an.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. September 2010 geändert.
Dem Kläger wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin ab dem 21. Mai 2010 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt; Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.
Gründe
Die Beschwerde gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Berlin, mit dem der Antrag des Klägers abgelehnt worden ist, ihm für die am 22. Februar 2010 erhobene Klage Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines im Tenor bezeichneten Prozessbevollmächtigten zu gewähren, ist zulässig; insbesondere ist sie unabhängig vom Beschwerdewert auch nach § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da nach § 172 Abs 3 Nr 2 SGG Beschwerden gegen die Ablehnung von PKH nur ausgeschlossen sind, wenn das SG ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint hat. Eine solche Situation ist aber hier nicht gegeben, weil das SG seine ablehnende Entscheidung (allein) damit begründet hat, das Klageverfahren habe keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat hat bereits zu der bis zum 31. März 2008 geltenden Gesetzeslage die Auffassung vertreten, dass im PKH-Verfahren unabhängig vom Wert der Beschwer in der Hauptsache die Beschwerde zulässig ist (vgl ausführlich: Beschluss des Senats vom 14. Mai 2007 - L 10 B 217/07 AS PKH, juris). Hieran hält er - auch und gerade - nach der umfangreichen Änderung des § 172 SGG zum 01. April 2008 und unter Berücksichtigung des Gesetzgebungsprozesses fest (vgl Beschluss des Senats vom 14. Juni 2010 - L 10 AS 664/10 B PKH, juris RdNr 4 mwN).
Die Beschwerde ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Dem 1957 geborenen und gemäß § 7 Abs 3 Nr 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) allein für seine Person “eine Bedarfsgemeinschaft" bildende (dazu BSG ≪7b. Senat≫ SozR 4-4200 § 20 Nr 2, RdNr 18 mwN) Kläger, der seit dem 2006 alleine eine - ausweislich des Mietvertrages vom 2006 (Bl 42ff der Verwaltungsakte ≪VA≫) - 50 qm große, im Hochparterre gelegene Zweizimmerwohnung unter der im Rubrum genannten Adresse bewohnt, die durch Kohle- bzw Holzöfen beheizt wird und für die er einen monatlichen Mietzins von 230,00 EUR (Nettokaltmiete 180,00 EUR und kalte Betriebskostenvorauszahlung 50,00 EUR) zu entrichten hat, ist PKH unter Beiordnung seines im Tenor bezeichneten Prozessbevollmächtigten (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 2 1. Alt Zivilprozessordnung ≪ZPO≫) zu gewähren. Der Kläger ist nach seinen derzeitigen - hier mit Blick auf § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 1 Satz 3 ZPO nicht näher darzulegenden - persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten des Klageverfahrens auch nur teilweise oder in Raten aufzubringen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 115 ZPO), und der Klage kann eine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 ZPO) im Zeitpunkt der Entscheidungsreife nicht abgesprochen werden. Dabei beurteilt das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig in summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes ohne strenge ...