Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsgewährung an EU-Ausländer. Wirkungen des Fürsorgeabkommens. Leistungshöhe bei einer vorläufigen Leistungsgewährung im Eilverfahren

 

Orientierungssatz

1. Der Ausschluss des Leistungsbezugs für Grundsicherungsleistungen in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2 auch für EU-Ausländer steht nicht im Widerspruch zu geltendem Europa- oder Völkerrecht. Insoweit ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über vorläufige Leistungsgewährung keine Folgenabwägung vorzunehmen, die im Regelfall zu einer vorläufigen Leistungsgewährung bis zum Abschluss der Hauptsache führen würde (entgegen LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 27. April 2012, Az.: L 14 AS 763/ 12 B ER).

2. Die Ausschlussregelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB 2 ist jedenfalls für Staatsangehörige solcher Staaten uneingeschränkt anwendbar, die nicht vom Schutzbereich des Europäischen Fürsorgeabkommens erfasst sind (hier: fehlende Ratifizierung). Dagegen ist für Angehörige von Mitgliedsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens der Zugang zur Grundsicherungsleistungen in Deutschland grundsätzlich eröffnet. Ein die Anwendbarkeit ausschließender Vorbehalt des Gesetzgebers ist insoweit unzulässig.

3. Bei der Leistung zur Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt es sich nicht um eine Leistung im europarechtlichen Sinne, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Vielmehr handelt es sich um eine staatliche Fürsorgeleistung zur Existenzsicherung.

4. Bei der Zuerkennung vorläufiger Leistungen im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens kann auch eine Leistung unterhalb der Bedarfssätze festgesetzt werden, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile ausreichend ist.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. September 2012 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für den Monat November 2012, längstens bis zur Entscheidung des Antragsgegners über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. August 2012, Leistungen in Höhe von 615,51 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II -. Sie ist italienische Staatsangehörige und hält sich seit 2009 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Vom 01. Juli 2010 bis 31. August 2010 war sie als Servicekraft in B gegen Entgelt tätig. Nachdem zunächst ihr Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 03. November 2010 abgelehnt worden war, gewährte der Antragsgegner ihr mit Bescheid vom 28. Februar 2011 ab dem 15. Oktober 2010 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, zuletzt wurden ihr mit Bescheid vom 06. März 2012 Leistungen in Höhe von 690,31 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01. März 2012 bis 31. August 202 bewilligt. Diese Leistungen wurden an die Antragstellerin trotz Aufhebung der Bewilligung mit Bescheid vom 05. April 2012 für den Zeitraum ab 01. Mai 2012 erbracht, da das Sozialgericht Berlin auf Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 08. Mai 2012 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid angeordnet hatte.

Den Weiterbewilligungsantrag der Antragstellerin vom 09. August 2012 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 24. August 2012 mit der Begründung ab, die Antragstellerin sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen. Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch.

Am 04. September 2012 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin beantragt, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 04. September 2012 bis 30. September 2012 Leistungen in Höhe von 621, 28 Euro und für die Zeit vom 01. Oktober 2012 bis 30. November 2012 Leistungen in Höhe von 690, 31 Euro vorläufig zu bewilligen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei auf ihre Person nicht anwendbar.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 27. September 2012 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Antragstellerin unterfalle dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. SGB II, da sich ihr Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Diese Vorschrift sei mit dem Europarecht vereinbar und verstoße auch nicht gegen das Europäische Fürsorgeabkommen, da dieses auf Leistungen nach dem SGB II nicht mehr anwendbar sei.

Hiergegen richtet sich die am 01. Oktober 2012 eingelegte Beschwerde, mit der die Antragstellerin ihr Begehren weiterverfolgt.

Sie beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. September 2012 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung ...

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