Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungen für Unterkunft nach § 22 SGB 2 bei Wohnungswechsel

 

Orientierungssatz

1. Die Weigerung des Leistungsträgers, höhere Leistungen für eine neue Unterkunft nach § 22 SGB 2 zu erbringen, kann nicht allein darauf gestützt werden, dass vor Abschluss des Vertrages über die neue Unterkunft eine Zusicherung nicht erteilt wurde.

2. § 22 Abs. 2 S. 1 SGB 2 enthält lediglich eine Soll-Bestimmung. Deren Verletzung führt zu keinen Rechtsfolgen, wenn die Zusicherung hätte erteilt werden müssen.

3. Das Bestehen eines Anordnungsgrundes scheitert nicht daran, dass mangels behaupteter Mietrückstände der Verlust der Wohnung noch nicht droht.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2006 wird als unzulässig verworfen, soweit sie Zeiträume vor Erlass dieser Entscheidung betrifft; im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller auch die ihm entstandenen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners ist als unzulässig zu verwerfen, soweit sie zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits in der Vergangenheit liegende Zeiträume betrifft (§ 572 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO] i.V.m. § 202 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]); insoweit fehlt ihr das erforderliche Rechtsschutzinteresse.

Die (einstweilige) Anordnung des Sozialgerichts hat sich insoweit erledigt. Die Antragsgegnerin hat kein rechtlich schützenswertes Interesse an ihrer Aufhebung. Sie war aufgrund dieser Anordnung verpflichtet, vorläufig Leistungen zu erbringen. Soweit es ihr darum gehen sollte, dementsprechend ausgezahlte Beträge zurückzuerhalten und festgestellt zu wissen, dass sie - endgültig - nicht zur Gewährung dieser Leistung verpflichtet sei, steht das gerichtliche Eilverfahren dafür nicht zur Verfügung. Eine einstweilige Anordnung ist stets nur ein Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen einer daraufhin erbrachten Leistung. Ob dem von der einstweiligen Anordnung Begünstigten diese Leistung endgültig zusteht, ist gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren zu klären, sofern die Entscheidung der Behörde nicht ohnehin bestandskräftig wird (so bereits Beschlüsse des Senats vom 4. November 2005 - L 14 B 1147/05 AS ER - und vom 2. Februar 2006 - L 14 B 1307/05 AS ER - im Anschluss an den Beschluss des Thüringischen OVG vom 17. Juli 1997 - 2 ZEO 356/97 -, FEVS 48 [1998], 129 [130]; ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - L 10 B 1144/05 AS ER -; vgl. auch OVG Berlin, Beschluss vom 15. September 1997 - 2 SN 11/97 -, NVwZ 1998, 85).

Im Übrigen - soweit in der Zukunft liegende Zeiträume betroffen sind - ist die Beschwerde zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 Satz 1 SGG), aber unbegründet.

Der Senat lässt dahingestellt, ob - wie das Sozialgericht angenommen hat (ebenso Berlit, in: Münder [Hrsg.], Sozialgesetzbuch II - Grundsicherung für Arbeitsuchende [2005], § 22 Rdnr. 52 ff.) - Leistungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen für eine neue Unterkunft (einschließlich der Aufwendungen für deren Heizung) nach noch geltendem Recht stets auch dann zu erbringen sind, wenn diese höher sind als die für die bisher bewohnte Unterkunft, aber noch - nach allgemeinen Maßstäben - angemessen und der kommunale Träger vor Abschluss des Vertrages über die neue Unterkunft eine Zusicherung (§ 22 Abs. 2 Satz 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs [SGB II]) nicht erteilt hat; für diese Auffassung spricht die nach dem Beschluss des Deutschen Bundestags vom 1. Juni 2006 vorgesehene Ergänzung des § 22 Abs. 1 SGB II um die Bestimmung, dass Leistungen weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht werden, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/1410, S. 6 f.); diese Ergänzung hat keineswegs lediglich “klarstellende„ Bedeutung.

Jedenfalls deutet vorliegend alles darauf hin, dass der Umzug des Antragstellers in die neue Unterkunft aus den von ihm angeführten Gründen “erforderlich„ war; die Antragsgegnerin bestreitet dies auch gar nicht, sondern hält sich daran fest und auf, dass sie ihm - obwohl er sie durchaus beantragt hatte - vor dem Umzug keine Zusicherung erteilt hat, die Aufwendungen für die neue Unterkunft zu übernehmen. Sie verkennt dabei, dass § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II lediglich eine Soll-Bestimmung ist, deren Verletzung zumindest dann nicht dazu führt, dass Leistungen nur in der bisherigen Höhe zu erbringen sind, wenn die Zusicherung nach § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II hätte erteilt werden müssen. Anhaltspunkte dafür, dass dies hier nicht der Fall gewesen sein könnte, sind auch der Beschwerde nicht zu entnehmen.

Eine vorläufige Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Antragsteller erscheint vorliegend auch ungeachtet dessen nötig (Anordnungsgrund - § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG), dass Mietrückstände noch nicht behauptet werden und noch nic...

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